Spurensuche in Ogfolderhaid/Jablonec

Veröffentlicht am 10.12.2019 in

Der aus dem Böhmerwald stammende Erwin Franz erläuterte Rainer Pasta im Rahmen der „Spurensuche“ die Geschichte des Ortes Ogfolderhaid/Jablonec . Auch in diesem „Hörndl und Körndl-Bauerndorf“ lebten und arbeiteten Sozialdemokraten.


Bürgermeister gegen „Hitlerismus der schlimmsten Art“

Waldarbeiter und Knechte hielten die Sozialdemokratie hoch - Konsum-Verkaufsstelle

Ogfolderhaid ist ein sehr alter Ort. Das erste urkundliche Zeugnis stammt vom 20.10.1387. Stets waren seine Bewohner mehrheitlich Deutsche. Bis zur Vertreibung 1946 gehörten die Dörfer Altspitzenberg, Neuspitzenberg, Hundshaberstift, Ratschin, Reith, Michetschlag und Schneidetschlag zur Pfarrei Ogfolderhaid. Religion, Glaube, Sitte und Gebräuche prägten das Leben der vorwiegend in der Landwirtschaft und im Handwerk tätigen Menschen. Heute existiert Ogfolderhaid nicht mehr. Nach der Vertreibung seiner Bewohner wurde der Ort Teil eines militärischen Truppenübungsplatzes in der Tschechoslowakei und nur noch vereinzelt herumliegende Steine sind Zeugen eines einst blühenden Böhmerwaldorfes. 1930 lebten in den 116 Häusern des Ortes 744 Einwohner, davon 6 Tschechen. Wie im ganzen Böhmerwald reicht die Geschichte der Sozialdemokratie weit in die k.u.k.-Monarchie zurück. Waldarbeiter und Knechte hielten auch in Ogfolderhaid/Jablonec die Sozialdemokratie hoch. „Der Hauptort, eine „Hörndl und Körndl-Bauerndorf“ war natürlich christlich geprägt“, so Erwin Franz, „aber die Eingemeindungen u.a. einige Holzhauerdörfer waren sozialdemokratisch“.
 

Trotz aller Bemühungen wurden bei den Recherchen zur Chronik "Ogfolderhaid - ein Böhmerwalddorf entsteht und vergeht" keine Wahl-Ergebnisse in Ogfolderhaid/Jablonec gefunden. Doch schon im Pilsner Tagblatt vom 1.12.1900 ist zu lesen, dass "Im Budweiser Wahlkreis in Ogfolderhaid 2 Sozialdemokraten durchdrangen" und im im Böhmerwald Volksboten, der Sozialdemokratischen Zeitung aus Krumau, ist am 12.1.1919 unter "Aus dem Böhmerwald" zu lesen: „Die Vorarbeiten für die Wahlen in die konstituierende Nationalversammlung, die in einigen Wochen stattfinden, sind im vollem Gange. Die Bezirksorganisation Oberplan hat ihren Vertrauensmann Genossen Josef Mayer neuerlich gewählt. … Auch hier hatten die Versammlungen in Ogfolderhaid, Stein, Stuben und Kalsching einen guten Erfolg. Die Lokalorganisationen der letztgenannten Orte enthalten eine rege Tätigkeit und die Erfolge werden sie auszunützen verstehen“. Damit hatte der Autor Recht, denn bei den Gemeinderatswahlen im Juni 1919 wurden in Ogfolderhaid 5 Sozialdemokraten und 10 Christsoziale gewählt. Für ein großes, reiches Bauerndorf sind 1/3 Sozialdemokraten ein riesiger Erfolg, so Rainer Pasta. In der Chronik sind neben fünf Gemischtwarengeschäften auch eine Konsum-Verkaufsstelle, leider ohne genaue Ortsbezeichnung, zu finden.

Im Archiv von Krumau/Český Krumlov fand Erwin Franz für seine Chronik auch einige zeitgeschichtlich bezeichnende Dokumente: Wenn sicherlich ein Großteil der deutschen Bevölkerung gegen den tschechoslowakischen Staat eingestellt war, so gab es auch andere Stimmen. So schrieb der damalige Bürgermeister von Ogfolderhaid am 24. Juli 1935 an die Landesbehörde in Prag streng vertraulich, dass zwei Staatsbeamte (er nennt sie mit Namen) „Hitlerismus" ärgster Sorte betreiben würden. Der eine gelte als größter Volksverhetzer im ganzen Umkreis, und der Zweite würde schon in der Schule mit den Kindern, wie er formuliert, „staatsfeindliche Politik" betreiben. Er, der Bürgermeister bitte, die beiden an andere Dienststellen zu versetzen, denn dann hätte man die Aufwiegler los. Das Volk, so heißt es in dem Brief weiter, bei uns wäre längst nicht so, wenn nicht diese beiden wären. Er schreibt weiter, die Verständigeren bei uns schüttelten schon die Köpfe und wunderten sich, dass sich Staatsbeamte dies erlauben dürften. „Ich", so schreibt der Bürgermeister zum Schluss, „halte mit der Henleinpartei nicht mit, sondern als Vorsteher der Gemeinde bin ich staatstreu, da bin ich denen ein Dorn im Auge."

Dieses Schreiben des Bürgermeisters hatte Konsequenzen. Die Polizei wurde tätig und ermittelte in Ogfolderhaid wegen staatsfeindlicher Umtriebe. In einem umfangreichen Bericht vom 22. August 1935 der Landes-Kommandantur in Prag/Polizei-Station Oberplan Nr. 29 wird u. a. über den Ablauf von Versammlungen und über die Agitationsarbeit von Einzelpersonen der Henleinpartei im Detail berichtet. So steht dort zu lesen: Der Vorsitzende der Henleinpartei in Ogfolderhaid habe z. B. am 08.06.1935 zum Bürgermeister gesagt, dass er ihm unzuverlässig erscheine. Er werde sich darum kümmern, dass die Gemeindevertretung in Ogfolderhaid aufgelöst und ein Bürgermeister gewählt werde, der ein ordentlicher Henleinpartei-Anhänger sei. In dein Polizeibericht wird auch ausgeführt, dass alle Informanten darum gebeten hätten, nicht namentlich genannt zu werden, da sie Angst vor Rache hätten.

In einem weiteren Polizeibericht vom 27.02.1936 wird über das Verhalten des Lehrpersonals und über „Hetzer" gegen den Staat berichtet. Im Schreiben vom 7.7.1938 bittet der Bürgermeister um einen Beamten der Bezirksbehörde, der die Gemeindewirtschaft der Jahre 1935, 1936, 1937 und 1938 vor der Übergabe der Gemeindegeschäfte an die Henlein-Vertretung prüfe. Schließlich zeigt sein Brief vom 3.8.1938 die Wirrungen der damaligen Zeit auf. Er enthält die Bitte, auf dem Vertrauensweg den Tag der Übergabe an den neuen Gemeindevorsteher mitzuteilen, denn die hiesige Ortsleitung der Sudetendeutschen Partei beabsichtige, einen großen Demonstrationszug zu machen. Da möchte er vorher entweder die Gendarmerie oder die Staatspolizei zum Schutz anrufen. Auch bitte er höflich zu veranlassen, dass nach Ogfolderhaid sofort einige Mann Militär oder Gendarmerie abkommandiert würden. Letzte Nacht sei Frau Koller aus Ogfolderhaid mit Steinen beworfen worden. Selbst fühle man sich fast seines Lebens nicht sicher, ebenso stehe sein Anwesen in steter Gefahr des Anzündens, so seien die Umstände hier für Personen, die sich staatstreu verhielten.

1938 wurde die Situation in den sudetendeutschen Gebieten immer schlimmer. Die Spannungen zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei nahmen zu und die Kriegsgefahr lag in der Luft. Viele Sudetendeutsche, insbesondere auch Männer aus Jablonec, die sich nicht für die tschechische Armee anmelden wollten, und auch die Führer der Henlein-Partei, flohen nach Deutschland.

Nach Okkupation, Krieg, Flucht und Vertreibung Wie aus Unterlagen des tschechischen Verteidigungsministeriums hervorgeht, wurde am 19. Mai 1947 beschlossen, dieses Gebiet als Truppenübungsplatz zu nutzen, der die Bezeichnung „VVP Boletice" erhielt. Der Zutritt zu dem Gebiet wurde strengstens verboten.

Auf dem Gebiet des Truppenübungsplatzes lagen folgende 53 Orte, ,die heute als „ausgelöscht" gelten: Althütten (Gem. Honetschlag), Alt-Spitzenberg, Andreasberg, Benetschlag, Biletitz, Blumenau, Böhmdorf (Gem. Perschetitz), Böhmisch Haidl,Chumau, Dollem, Glashütten (Gem. Pernek), Goldberg, Haidl (Gem. Kriebaum), Hinterhaid, Hochwald, Hörwitzl, Hossen, Hundshaberstift, Irresdorf, Käferhäuser, Kriebaum, Kriebaumkollern, Meisetschlag, Michetschlag, Neudörfl (Gem. Andreasberg), Neu-Spitzenberg, Neustift (gem. Irresdorf), Ogfolderhaid, Ottetstift, Penketitz, Perschetitz, Plattetschlag, Podwurst, Pbsigl, Pragerstift, Proßnitz, Quitosching, Ratschin (Gem. Alt-Spitzenberg), Reith (Gem. Ogfolderhaid), Richterhof, Rubenz, Schlagl, Schmieding, Schneidetschlag, Schönfelden (Gem. Richterhof), Schwiebgrub, Siebitz, Stein im Böhmerwald, Tichtihöfen, Tussetschlag, Uhligsthal,Wolfsgrub (Gem. Christianberg) und Zodl. Vor der Vertreibung wohnten in den 53 Ortschaften etwa 10.000 Einwohner. Am 1. Januar 2015 wurde der Truppenübungsplatz Boletice deutlich verkleinert und ist heute z.T. wieder zugänglich.

Die Familie von Erwin Franz, der heute in einem der 12 Stadtteile Neu-Ulms namens Gerlenhofen lebt, floh erst 1948 nach Deutschland. Erwin Franz selbst wurde am 20. November 1940 in der heute völlig zerstörten Siedlung Blumenau/Květná, die zum Kataster des Dorfes Alt-Spitzenberg/ Starý Špičák gehört, geboren. Er wurde in Deutschland zum Schlosser ausgebildet und arbeitete nach dem Zweiten Weltkrieg in der Werkstatt der berühmten Ulmer Designschule, die von Inge Aicher-Scholls 1953er Schwester Sophie und Hans Scholl (von den Nationalsozialisten für die Widerstandsorganisation Weiße Rose in München hingerichtet) gegründet wurde. Bis 2002 war er 30 Jahre lang für die SPD im Neu-Ulmer Stadtrat und 20 Jahre im Bezirksrat tätig. Heute ist er Vorsitzender des Vereins der heimattreuen Ogfolderhaidler. Das Buch über das ehemalige Ogfolderhaid/Jablonec ist noch erhältlich.

 

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