4. März 1919

Die Kaadner Bürgerinnen und Bürger, die am 4. März 1919 den Tod fanden: Andreas Benedikt (46), Erich Benesch (29), Ludmilla Dolezal (25), Wilhelm Fügert (21), Ferdinand Kumpe (14), Karl Lochschmidt (11), Marie Loos (51), Berta Maier (39), Oskar Maier (16), Paul Massl (19), Hugo Nittner (16), Katharina Tschammerhöll (19), Theodor Romig (18), Anna Rott (40), Julie Schindler (16), Paula Schmidl (14), Franz Schneider (52), Marie Stöckl (23), Marianne Sturm (24), Franziska Paßler (46), Karl Tauber (13), Aloisia Weber (19), Josef Wolf (51) und Marie Ziener (17)

 

Heute vor 100 Jahren starben 54 Menschen durch die Kugeln der tschechoslowakischen Polizei auf sozialdemokratisch geführte Demonstrationen der deutschsprachigen Minderheit: 25 in Kaaden, 16 in Sternberg, 6 in Karlsbad, 2 in Arnau, 2 in Eger, 2 in Mies und 1 in Aussig. Unter den Toten waren 20 Frauen und Mädchen, ein 80-Jähriger und Buben im Alter von 14, 13 und 11 Jahren.

Nach der Auflösung Österreich-Ungarns wurde in den mehrheitlich deutsch besiedelten Gebieten die versprochene freie Entscheidung über die staatliche Zugehörigkeit vorenthalten und wie in anderen Teilen der Tschechoslowakei eine minderheitenfeindliche Politik betrieben. Zu den Forderungen des 4. März gehörte an erster Stelle das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das von US-Präsident Woodrow Wilson als Grundprinzip der Friedensregelung proklamiert worden war. Außerdem forderten die Redner den Abzug der tschechischen Truppen und die Freigabe zurückgehaltener Lebensmittel- und Kohlelieferungen und protestierten gegen die Entwertung des alten österreichischen Geldes.

Eine Auflösung der verhärteten Situation wurde erst nach den Parlamentswahlen von 1929 möglich, als die Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei in die Prager Regierung eintreten konnte. Das Projekt einer nationalen Verständigung im staatlichen Rahmen der Tschechoslowakei traf dann aber auf den harten Widerstand der zunehmend NS-kontrollierten Sudetendeutschen Partei und auch der Kommunisten, die die Regierungsbeteiligung der sudetendeutschen Sozialdemokraten als "sozialfaschistischen Betrug" angriffen und in ihrem neuen Parteiprogramm bis 1934 die sofortige Unabhängigkeit des Sudetenlandes forderten.

Die Opfer des 4. März 1919 erhielten keine Entschädigung, die Täter wurden nicht ermittelt und bestraft. Für die Sudetendeutschen wurde der 4. März als „Tag der Selbstbestimmung“ zu einem Gedenktag. An die März-Toten wurde in den folgenden Jahren in großen parteiübergreifenden Veranstaltungen gedacht, bevor dann die Nationalsozialisten das Gedenken in ihrem Sinne instrumentalisierten.

Am Ende standen die Besetzung des Sudetenlandes durch Hitlers Truppen, die Auflösung der Tschechoslowakei, der Terror der Nazibesatzer und die Vertreibung der übergroßen Mehrheit der Deutschen mit wiederum zehntausenden Todesopfern.

Zeitungsberichte von damals

Anlässlich des 100. Jahrestages der März-Ereignisse führt uns die Exkursion auf unserem Frühjahrsseminar nach Kaaden, wo auch wir der Ereignisse gedenken werden.

 

Hier ein Blick auf Originalberichte aus der in Wien erscheinenden Tageszeitung „Neue Freie Presse“  vom 5. und 6. März 1919:

 

„Anlässlich der Eröffnung der deutschösterreichischen Nationalversammlung fand heute Nachmittag wie in allen übrigen Städten Deutschböhmens auch in Teplitz eine von den deutschen Sozialdemokraten einberufene Massenkundgebung für die Zugehörigkeit Deutschböhmens zu Deutschösterreich statt. Über 25000 Personen füllten den Marktplatz. Hier ruhten alle Betriebe, die Geschäfte waren den ganzen Tag über geschlossen und der Betrieb der Straßenbahn eingestellt. Die Arbeiter marschierten aus den Ortschaften in geschlossenen Zügen zum Marktplatz. Hundert Kriegsinvalide, viele auf Krücken, andere in Fahrstühlen sitzend, nahmen ebenfalls in geschlossenen Reihen teil. Sie trugen Standarten mit verschiedenen Aufschriften und Fahnen.

Nach einer Begrüßungsansprache des Redakteurs Josef Hofbauer hielt der Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Seliger eine mit großem Beifall aufgenommene längere Rede, in der er in festlichen Ausführungen die Lage der Deutschen gegenüber dem tschechoslowakischen Staat betrachtete. Der Redner sagte unter anderem, es gab einmal einen Augenblick, wo das tschechische Volk mit Aussicht auf vollen Erfolg uns hätte die Hand reichen können. Wenn die tschechischen Machthaber den Augenblick, wo beide Völker von den Fesseln des alten Habsburger-Reiches frei geworden waren, erfasst hätten, wäre eine Verständigung möglich gewesen. Die Tschechen hätten auf das Echo des deutschen Volkes nicht lange warten müssen. Die tschechischen Machthaber haben aber diesen Augenblick nicht beachtet. Es kam vielmehr die militärische Gewalt. Kein Staat, der durch Gewalt zustande gekommen sei, könne auf die Dauer aufrecht bestehen. Mögen die heutigen Kundgebungen, die in Deutschböhmen veranstaltet werden, auch auf Herrn Clemenceau und andere seine Wirkung ausüben, aber für die Völker des Westens würden sie gewiss von Bedeutung sein. Der Wiederaufbau der zusammengebrochenen Reiche wird noch zu ganz anderen Kämpfen führen. Es werden noch ganz andere Fragen zu lösen sein.

Der Redner verweist dann auf die verschiedenen Nachrichten, die aus Lugano oder sonst woher kommen, dass das Schicksal Deutschböhmens bereits entschieden sei. Diese Nachrichten vermögen uns nicht zu beunruhigen. Über das Schicksal Deutschböhmens entscheidet nicht die Konferenz in Paris oder anderswo – die Frage ist bei uns selbst. Wir erwarten die Stunde, wo wir unser Schicksal entscheiden werden, mit voller Zuversicht. Es wird der Tag kommen, wo wir Schulter an Schulter mit den Brüdern im Deutschen Reiche in die große freie sozialistische Republik einmarschieren werden. Die ganze Veranstaltung verlief ohne jede Störung.“

„Das Tschechoslowakische Pressbüro meldet aus Kaaden unter dem 4. März: Heute Nachmittag fand in Kaaden eine öffentliche Volksversammlung statt, welche von der deutschen sozialdemokratischen Partei einberufen wurde. Der Verlauf der Versammlung war ein ruhiger. Nach der Versammlung zerstreute sich ein Teil der Versammlungsteilnehmer, während ein anderer, zirka 500 bis 600 Personen, auf den Marktplatz zog, wo das neuerliche Hissen der schwarz-rot-goldenen Fahne auf dem Stadthaus verlangt wurde. Auf Grund einer Vereinbarung zwischen dem Besatzungskommandanten und dem Bürgermeister wurde beschlossen, auf dem Turm zwei Fahnen, und zwar eine tschechische rot-weiße und eine schwarz-rot-goldene zu hissen. Während der Versammlung drang jemand in den Turm unter Missbrauch des Namens des Bürgermeisters und beseitigte die tschechische Fahne. Infolgedessen beseitigten die tschechischen Soldaten die großdeutsche Fahne und hissten von neuem nur die tschechische. Auf Grund abermaliger Verhandlungen kam es wiederum zum Hissen der großdeutschen Fahne neben der tschechischen Fahne, allerdings etwas niedriger. Die Menge verhielt sich jedoch drohend und insultierte sogar den Bürgermeister und den Stadtrat. Zum Schluss der Sitzung wurde eine Offizierspatrouille herbeigerufen, welche jedoch unterwegs mit Stöcken angefallen wurde. Als gegen die Soldaten Schüsse abgegeben wurden, erwiderte auch die Patrouille das Feuer. Es sind ungefähr sechs bis acht Tote und viele Verwundete. Nach der Schießerei zog die Menge auseinander. Es wurde angeordnet, dass um 8 Uhr abends alle Haustore und Gasthäuser geschlossen würden.“

„Zu den Vorfällen wird ergänzend noch gemeldet: Es waren auch zwei Maschinengewehre aufgestellt, von welchen eines im ersten Stock des Postamtes, das andere im ersten Stock des gegenüberliegenden Hotel Austria untergebracht war. Auf die Schießerei der Menge wurde durch Schießerei aus diesen Maschinengewehren geantwortet. Die Menge floh sofort auseinander. Der Zusammenstoß forderte unter der Bevölkerung 17 Tote, 30 Schwerverletzte und über 50 Leicht-verwundete. Im Laufe der Nacht wurden sieben Personen verhaftet. Während der Nacht und heute Vormittag herrschte Ruhe.“

 

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