Kritik an der Seliger-Gemeinde aus der ehemaligen DDR

Mit der fortschreitenden Digitalisierung findet man im Internet immer wieder Zeitungsberichte mit harscher Kritk an der Seliger-Gemeinde - um diese Kritik verstehen zu können, haben Ulrich Miksch und Rainer Pasta versucht die "Quellen" ins rechte Licht zu rücken:

 

Alles was antikommunistisch war, musste revanchistisch sein

Zu DDR-Zeiten war das Thema Seliger-Gemeinde tabu - Neues Deutschland und Berliner Zeitung hetzten gegen Wenzel Jaksch

Schon unmittelbar nach Gründung der DDR wetterte das SED-Organ Neues Deutschland gegen die westdeutsche »Betrugspolitik gegenüber den Umsiedlern*1«, die diese zum »Spielball in den blutigen Händen der westlichen Reaktion« mache. Die Vertriebenenverbände der Bundesrepublik galten als »neofaschistisch«.

In ihrer ideologischen Propaganda gegen die Vertriebenenverbände entzündete die SED mit schöner Regelmäßigkeit wahre Feuerwerke: Es ging gegen »Reaktion« und »Restauration«, gegen »Revisionismus«, »Revanchismus« und »Chauvinismus«. Da sie die Entwicklungen im Westen genau verfolgte, blieb der DDR-Führung die Hinwendung der SPD zu den Vertriebenenverbänden, die in den 50er Jahren stärker wurde, aber auch weil die Vertriebenen sich dann erst stärker organisieren konnten, nicht verborgen. In einem Propagandawerk unter dem Titel „Sozialdemokratie und Revanchismus“ *2 erläuterte Edmund Jauernig den sozialdemokratischen „Sinneswandel“ und machte aus Wenzel Jaksch, dem alten sudetendeutschen Sozialdemokraten, der unter den Nationalsozialisten verfolgt und nach England emigriert war, einen Reaktionär.

Auch die sudetendeutsche Seliger-Gemeinde wurde als revanchistisch eingestuft. In diesem vom traditionellen Jargon der kommunistischen Regime geprägten Buch wird vor allem Wenzel Jaksch und die später von ihm geleitete Seliger Gemeinde für ihre Zusammenarbeit im Bund der Vertriebenen (BdV) *3 mit ehemaligen sudetendeutschen Nationalsozialisten in der Sudetendeutschen Landsmannschaft heftig kritisiert – allerdings erschien das Buch erst nach dem Tod Jakschs und die Seliger-Gemeinde setzte sich intern mit einer kleinen Broschüre auseinander, die etwas ratlos fragte: wer ist denn dieser Edmund Jauernig? Er war weder ein bekannter Kommunist noch Sozialdemokrat, wahrscheinlich nur eine Marionette für andere Ideengeber und Informanten.

Für die SED-Spitze und das Ministerium für Staatssicherheit (MIS) gehörte der BdV zu den »Führungszentren der politisch-ideoleogischen Diversion«. In Ost-Berlin plädierte man für »Maßnahmen zur Zersetzung der revanchistischen Landsmannschaften und zur Isolierung der Funktionäre von den Mitgliedern«. Nach den Vorstellungen des MfS gehörte dazu, die Funktionäre dieser »Feindorganisationen« als »unbelehrbare Faschisten und Militaristen« in Briefen und Flugblättern öffentlich anzuprangern. Oppositionsgruppen in den Verbänden zu schaffen und über Desinformationen, Misstrauen und Unruhe in die Landsmannschaften hineinzutragen- bis hin zur Einschleusung Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit in der BdV-Bundesgeschäftsstelle in Bonn.

Ein Schwerpunkt der MIS-Arbeit in den 1960er Jahren war die relativ lückenlose Dokumentation zur personellen Zusammensetzung des BdV. Man interessierte sich vor allem für die politische Vergangenheit der Funktionäre. In Kampagnen, die sich gegen Spitzenpolitiker des BdV und einzelner Landsmannschaften richteten - etwa gegen Hans Krüger und Walter Becher -‚ verwies man zur Begründung des »Revanchismus- und Neo-Faschismus-Vorwurfes« auf deren tatsächliche oder vermeintliche NS-Vergangenheit. Dabei machten sich SED und MfS nicht die geringste Mühe, in bezug auf die NS-Belastung zwischen Angepassten, Opportunisten, Schreibtischtätern und tatsächlichen Tätern - beispielsweise Einsatzgruppen-Angehörigen - zu unterscheiden.

Parteipolitisch waren der BdV und seine Vorläuferorganisationen neutral, eine erkennbare Affinität der Mehrheit seiner Mitglieder für die Unionsparteien ist nicht zu leugnen. In den 1960er Jahren war als Folge des intensiven Werbens v. a. Willy Brandts und Herbert Wehners um den BdV eine Hinwendung zur SPD zu beobachten. Mit Wenzel Jaksch wurde sogar ein SPD-Politiker BdV-Präsidenten. Auch in Bayern war die SPD über die Seliger-Gemeinde, deren Vorsitzender Jaksch seit ihrer Gründung 1951 – in Fortsetzung seiner Arbeit als letzter gewählter Vorsitzender der DSAP im März 1938 – bis zu seinem Tode 1966 war, tief im Vertriebenenmilieu verankert.

Der Übergang der SPD/FDP-Regierung zur Neuen Ostpolitik ab 1969 ("Wandel durch Annäherung", ein Konzept von Egon Bahr) führte schließlich zur weitgehenden Distanzierung des BdV von der SPD, die sich erst in den letzten Jahren wieder zum besseren wandelte.

Erst seit 2005 vollzog die tschechische Regierung die Anerkennung des Widerstandes deutscher Antifaschisten und die Seliger-Gemeinde gewinnt auch in Tschechien stetig an Ansehen.

 

*1 „Umsiedler“ wurden die Heimatvertriebenen in der DDR bezeichnet

*2 Die Kritik aus der DDR basiert vorwiegend auf dem Buch von Edmund Jauernig: „Sozialdemokratie und Revanchismus. Zur Geschichte und Politik Wenzel Jakschs und der Seliger-Gemeinde“, Berlin (DDR) 1968. Da es 1968 in der DDR keine freie Wissenschaft gab, muss das Buch als ideologisch im Sinne der DDR-Regierung betrachtet werden.

*3 Den BdV gibts erst seit 1958, dann erfolgt auch langsam die Integration der Mitglieder des konservativen Blocks der Heimatvertriebenen und Entrechteten  (BHE) in die CDU - vorher haben die Bürgerlichen unter den Vertriebenen nicht für die CDU gestimmt, aber sehr wohl Vertriebene mit linker Gesinnung für die SPD, die von Anfang an eine Unterstützungsplattform für die Vertriebenen war. So erschien bereits 1948 die erste „Brücke“ unter dem Dach der bayrischen SPD. Maßgeblich hierfür waren die internationalen Kontakte, die auch Sudetendeutsche zu reichsdeutschen Sozialdemokraten in den 20er und 30er Jahren hatten. Man hatte also Anknüpfungspunkte und kannte sich ganz gut.

 

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