100 Jahre DSAP - Seliger Gemeinde

100 Jahre: DSAP – Treuegemeinschaft – Seliger Gemeinde

Vor 100 Jahren wurde die Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik (DSAP) in Teplitz gegründet. Sie war zeitweilig eine der erfolgreichsten sozialdemokratischen Parteien Europas. Zu­gleich ist sie aber auch eine Partei, deren Geschichte nahezu in Vergessenheit geraten war. Damit sie nicht ganz aus der Geschichte verschwindet, hat es sich die Seliger Gemeinde zur Aufgebe gemacht, die Tradition und das Andenken der DSAP aufrecht zu erhalten. Besonders zwei Aspekte müssen dabei hervorgehoben werden: Die grundsätzli­che Bereitschaft, am Staat mitzuwirken, um so letztlich Verbesserungen für die eigene Volksgruppe zu erreichen sowie die politische Grundüberzeugung gegen den Faschismus zu kämpfen. Unter den 3,5 Millionen Deut­schen der Tschechoslowakischen Republik waren es gerade die Sozialdemokraten, die sich aus Überzeugung gegen die Bestrebungen der Sudetendeutschen Partei des Konrad Henlein stellten. Nach der gewaltsamen Zer­schlagung der reichsdeutschen Sozialdemokratie fanden zahlreiche Emigranten ab 1933 in der Tschechoslowakei Zuflucht. Hierfür zahlten die sudetendeutschen Sozialdemokraten ab 1938 nach der Besetzung der sogenannten Sudetengebiete mit Verfolgung, Inhaftierung und Tod einen hohen preis – im günstigeren Fall gelang die Emigration. In der internationalen Arbeiterbewegung zeigte sich ein einzigartiges Vertrauensverhältnis, und die gefährdeten Sozialdemokraten erlebten Beweise großartiger Solidarität und Menschlichkeit. Die Emigranten von 1938 und 1939 sind die Begründer der Treuegemeinschaft Sudetendeutscher Sozialdemokraten, die mit ihren verbliebenen Mitgliedern noch heute als Treuegemeinschaft eine Teilgruppe der Seliger Gemeinde ist.

Heute nimmt die Seliger Gemeinde das politische und geistige Erbe der früheren DSAP wahr. Sie wurde als „Gesinnungsgemeinschaft sudetendeutscher Sozialdemokraten“ am 4. Juni 1951 in München beschlossen und im November 1951 in Brannenburg gegründet. Sudetendeutsche Sozialdemokraten waren es auch, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs maßgeblich an der Wiedergründung der SPD in Hessen, Bayern und Baden-Württemberg beteiligt waren. Die Seliger Gemeinde enga­gierte sich als Gesinnungsgemeinschaft sudetendeutscher Sozialdemokraten in Vertrie­benenfragen. Sie widmete sich der historischen Dokumentation der eigenen Ge­schichte. So entstanden zahlreiche Erinnerungsbände und historische Abhand­lungen.

Heute bemüht sich die Seliger Gemeinde die deutsch-tschechischen Beziehungen zu festigen und kämpft für ein freies und soziales Europa.

 

Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei in der Tschechoslowakei (DSAP) (1918 bis 1939)

Bis 1918 war die deutsche Sozialdemokratie in den böhmischen Ländern ein Bestandteil der österreichischen Gesamtpartei gewesen. Schon am 16. Juni 1919 feierten die deutschen Sozialdemokraten in ihren Landesgruppen in Böhmen, Mähren und Schlesien einen grandiosen Erfolg – bei den Kommunalwahlen wurden sie stärkste deutsche Partei und über vielen Gemeinden „flatterten die roten Fahnen“. Am 3. September1919 wurde in Teplitz in Nordböhmen auf dem Gründungsparteitag die Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik (DSAP) aus der Taufe gehoben. Mit einer gewaltigen Rede eröffnete der zukünftige Parteivorsitzende Josef Seliger den Parteitag. Nach dem vorzeitigen Tode Josef Seligers, dem Czech 1920 als langgedienter Führer der mährischen Landesgruppe folgte, beschloss die neue Parteiführung der Sozialdemokratie die Verlegung des Sekretariates von Teplitz nach Prag.

 

Die aus der altösterreichischen Sozialdemokratie hervorgegangene DSAP errang bei den Erstwahlen zum Tschechoslowakischen Parlament im April 1920 einen Anteil von 44 Prozent der deutschen Stimmen und war dadurch dem Verhältnis nach die stärkste sozialdemokratische Partei der Welt geworden. Die deutsche Sozialdemokratie in den böhmischen Ländern war mehr als nur eine Partei. Sie war in ihrem Aufbau, in ihren Traditionen und in ihren Zielen eine der klassischen Arbeiterbewegungen der deutschsprachigen Länder.

Die DSAP trat 1929 in die Regierung ein. Ihr Vorsitzender Dr. Czech wurde mit Hilfe der tschechoslowakischen Sozialdemokraten Fürsorgeminister. Weltwirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit erschwerten sein Wirken in dieser Position. Er war anschließend Minister für Öffentliche Arbeiten und ab 1935 Gesundheitsminister.

 

Auf dem letzten Parteitag am 26./27. März 1938 in Prag wurde Wenzel Jaksch als Nachfolger Czechs zum neuen Parteivorsitzenden der DSAP gewählt.

 

Als nach dem Münchner Abkommen deutsche Truppen am 1. Oktober 1938 mit der Besetzung des Sudetenlands begannen, konnte sich nur ein Teil der demokratischen Politiker in die Rest-Tschechoslowakei retten. Vom Oktober bis Dezember 1938 wurden 20.000 Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei verhaftet; 2.500 Sudetendeutsche wurden allein in das KZ Dachau eingewiesen. Ins westliche Ausland flüchteten schätzungsweise 30.000 Personen. Dr. Czech hatte die Teilnahme an der Emigration abgelehnt. Er ist 1942 im KZ Theresienstadt durch den Naziterror umgekommen und wurde dort in einem Massengrab beerdigt.

 

Am 9. November 1938, 40 Tage nach dem Münchner Abkommen, musste der Sozialdemokrat, die Tageszeitung der DSAP, sein Erscheinen einstellen. Nach der Besetzung der deutschspra­chigen Gebiete des Staats durch die Wehrmacht musste sich die DSAP auflösen. Eine Erneuerung nach 1945 verhinderte die Vertreibung der drei Millionen Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei.

Treuegemeinschaft sudetendeutscher Sozialdemokraten im Exil (1939 bis 1951)

Nach der gewaltsamen Zerschlagung der DSAP im September 1938 beschloss am  Februar 1939 der Parteivorstand, die Tätigkeit im Exil unter dem Namen Treuegemeinschaft sudetendeutscher Sozialdemokraten fortzusetzen. Sie sollte die Traditionen der alten Partei fortsetzen und im demokratischen Ausland für die Befreiung der Heimat wirken. Sie sollte in allen Ländern, in denen sich Parteimitglieder niederließen formieren, den Kontakt zwischen allen Mitgliedern im Exil sowie zur Exilregierung der ČSR aufrecht erhalten und die Mitglieder auf eine spätere Heimkehr vorzubereiten. Jaksch wurde Vorsitzender der Treuegemeinschaft.

 

Nur ungefähr 4000 Mitglieder der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei entkamen ins Ausland. Mit der Hilfe der schwedischen und der englischen Sozialdemokraten gelang es zunächst, in die skandinavischen Länder Schweden, Dänemark, Norwegen und Finnland zu flüchten und später weiter nach Großbritannien und nach Kanada. Der Überfall der Hitler-Armeen auf Dänemark und Norwegen zwang dann die meisten der in diese Länder geflüchteten Emigranten, ihre mühsam geschaffenen Existenzen wieder aufzugeben und nach Schweden zu fliehen und von da häufig weiter nach Großbritannien.

 

Das politische Schwergewicht der Treuegemeinschaft lag naturgemäß in London, wo der Parteivorsitzende Wenzel Jaksch seinen Sitz hatte. In Skandinavien vertrat Ernst Paul, der spätere Bundestagsabgeordnete, die Interessen der sudetendeutschen Emigranten. Er war es vor allem, der in unermüdlicher Kleinarbeit für die Familien der Schicksalsgefährten arbeitete und dabei seine guten Verbindungen in die höchsten Regierungsstellen Schwedens nutzen konnte. Er zählte die bedeutendsten Staatsmänner der skandinavischen Länder zu seinen persönlichen Freunden.

Die Treuegemeinschaft hat damals – leider vergebens – alles getan, um die Vertreibungzu verhindern. Leider war infolge der Greueltaten der Nationalsozialisten in der Tschechoslowakei der Einfluß der Treuegemeinschaft bei den Alliierten immer geringer geworden.

Als die Alliierten die Zustimmung zur Ausweisung der Sudetendeutschen gaben, organisierte die Treuegemeinschaft die Antifa-Transporte und sorgte, so weit es möglich war, für eine geordnete Umsiedlung. Auch die Ankunft in der neuen Heimat wurde für viele durch die Arbeit der Treuegemeinschaft, deren Mitglieder sich seit 1938 etabliert hatten, in der BRD und im Ausland erleichtert. Denn die Kontakte mit den Treuegemeinschaften waren auch über das Kriegsgeschehen hinweg gewahrt worden, so dass sie - wenn auch verspätet - über das Geschehen in Europa und der Bundesrepublik hinlänglich informiert waren.

Seliger Gemeinde (seit 1951)

Die Seliger Gemeinde ist die Nachfolgeorganisation der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiter-Partei (DSAP) in der Ersten Tschechoslowakischen Republik (1918 bis 1939) und der Treuegemeinschaft sudetendeutscher Sozialdemokraten im Exil (1939 bis 1951).

Nach monatelangen Beratungen und Sondierungen einigten sich ehemalige Mitglieder des DSAP-Vorstandes im Exil, Sprecher der so genannten ANTIFA-Flüchtlingsaktion und der Parteivorstand der SPD in Hannover auf die Gründung einer eigenen Organisation sudetendeutscher Sozialdemokraten im Ausland, die am 10./11. November 1951 im Postgewerkschaftsheim in Brannenburg (Oberbayern) stattfand. Die Gemeinschaft gab sich nach dem ersten Vorsitzenden der DSAP den Namen Seliger Gemeinde.

 

Dem ersten Vorstand gehörten an: Wenzel Jaksch, Ernst Paul, Richard Reitzner und Alois Ullmann. Zu ihren Gründungsmitgliedern zählten auch drei Abgeordnete des damaligen bayerischen Landtags: Alfred Frenzel, Ludwig Walch sowie der spätere Vorsitzende der SPD-Fraktion und Landtagsvizepräsident, Volkmar Gabert. Dieser war von 1986 bis zu seinem Tod 2003 der am längsten amtierende Bundesvorsitzende der Seliger Gemeinde.

Seit fast 70 Jahren bewahrt die Seliger Gemeinde das politische und geistige Erbe der sudetendeutschen Sozialdemokraten. Dabei hat die Seliger Gemeinde stets versucht, Mauern ab- und Brücken aufzubauen und für Ausgleich und Verständigung zwischen Deutschen und Tschechen zu sorgen. Der Europagedanke, der bereits in der DSAP entwickelt wurde, ist auch heute noch zentrales Anliegen der Seliger Gemeinde.

Viele Auslandsgruppen in England, Kanada, Schweden und Österreich bewiesen mit ihrem Bekenntnis zur Gesinnungsgemeinschaft sudetendeutscher Sozialdemokraten - der Seliger Gemeinde -‚ dass alte Wurzeln nicht absterben. Die Auslandsgruppen waren bzw. sind ein wertvoller Teil unserer Gemeinschaft.

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