Otto Seidl

Otto Seidl (1913-2013)

Otto Seidl wurde am 3.4.1913 als zweites Kind von Richard Seidl (*1885-1956) und Marie Seidl, geb. Wahrlich (*1889-1957) in eine Arbeiterfamilie geboren. Otto besuchte ab 1919 die Volksschule in Untergraslitz und ab 1924 die Bürgerschule in Mittelgraslitz. 1927 begann er eine Lehre als Instrumentenbauer bei der Fa. Vinzenz Kohlert und Söhne. Seidl besuchte dabei die Musikfachschule für Instrumentenbau in Mittel-Graslitz und spielte im schulange-schlossenen Symphonieorchester als Solist die Querflöte u.a. im Narodni Divadlo in Prag (1933). Nach Ende der Lehrzeit im Frühjahr 1931 wurde Otto Seidl, wie alle anderen 20 Lehr-linge in die Arbeitslosigkeit entlassen, die Wirtschaftskrise hatte das Sudetenland längst erfasst.

Otto engagierte sich schon früh in der Sozialdemokratischen Partei. Schließlich war dies Familientradition, denn sein Großvater, später sein Vater, seine Mutter und sein Bruder waren bereits in den 1870er Jahren Sozialdemokraten. Am 1. Mai 1928 war Otto Seidl in die Sozialistische Jugend eingetreten und 1930 zum Vorsitzenden in Graslitz gewählt worden. Schon mit seinem Lehrlingslohn ersparte sich Otto Seidl ein Fahrrad, unverzichtbar für die Aufgabe in der Partei: Vertrieb und Verwaltung des „Volkswillen“ in und um Graslitz. Sein politisches Engagement verhinderte eine Widereinstellung bei der Fa. Vinzenz Kohlert und Söhne in den anschließenden Jahren.

Ähnlich erging es seinem Vater, der bis 1931, wie schon der Großvater, in der Spielzeug-warenfabrik Hussenmühle gearbeitet hatte. Als Arbeitsloser bekamen die Seidls drei Monate Arbeitslosenunterstützung (36 Kronen wöchentlich) und für die restlichen neun Monate aufgrund der Czech-Karten 10 Kronen wöchentlich. Davon konnte niemand leben, aber es war mehr als nichts! Überleben konnte die Familie, weil die Mutter in unermüdlicher Arbeit als Stickerin in Heimarbeit für eine Textilfirma arbeitete. Die Männer im Haus besorgten den Transport der Waren und beschafften Holz für den Winter durch Stöcke roden - so ging das von 1931 bis 1935. Ab 1935 konnte Otto Seidl dann halbtags bei der Fa. Ignatz Kohlert als Instrumentenbauer arbeiten. 

Daneben übernahm Otto Seidl Aufgaben für die Partei und begann u.a. für den „Volkswillen“ zu arbeiten. In der Parteijugend der DSAP lernte er seine frau Franziska Kohlert kennen, die er 1937 heiratete.

Die Spannungen mit der Henlein-Partei erreichten im August 1938 ihren Höhepunkt. Die genossen ahnten, dass nach Besetzung des Gebietes die DSAP-Funktionäre, u.a. Otto Seidl und seine Frau, in Gewahrsam genommen werden würden. Hatte nicht der DSAP-Vorstand beschlossen mit ca. 250 DSAP-Leuten die Versammlung der der Henlein-Anhänger zu besuchen um die Nazis zur Rede zu stellen. Dazu kam es nicht, weil die Gendarmerie der tschechischen Bezirkshauptmannschaft die Versammlung auflöste, nachdem es zu ersten Tumulten im Saal kam. Die Henleinpartei zog sich daraufhin in den privaten Kreis zurück – die DSAP feierte ihren Erfolg.

Am 22. September begannen die Tschechen ihre Evakuierung vorzubereiten und so kam es auch für die gefährdeten DSAPler zum Ernstfall. Um 22 Uhr traf man sich auf einer Hoch-fläche am Galgenberg oberhalb Graslitz und gelang zu Fuß auf vorher erkundeten Waldwe-gen nach Chodau hinter die vermutete neue Grenze. So kamen ca. 250 Graslitzer Flüchtlinge im Wirtshaussaal in Chodau unter – hier war bereits ein Lager für sie vorbereitet. Otto Seidl konnte nach diesem Nachtmarsch nie mehr zurückkehren. Am 29. September zog das nationalsozialistische Freikorps in Graslitz zur Abschlusskundgebung der Henleinpartei vor dem Münchener Abkommen ein.

„Wir haben uns in der Nacht vom 22. zum 23. September nach Zentralböhmen evakuiert. Dort wurden wir in Flüchtlingslagern untergebracht, und eines Tages sind wir mit einem Zug nach Pilsen und weiter nach Mies transportiert worden. Der Zug mit den Antifaschisten fuhr aber weiter dann in das deutsche Gebiet. Das war schon Anfang Oktober 1938. Meine Frau und ich - wir waren damals jung verheiratet - haben gewagt, aus dem fahrenden Zug abzuspringen, um nicht nach Deutschland gewaltsam überführt zu werden. Denn wir haben geahnt, was passieren würde."

Als er wenige Wochen später am 24. Dezember 1938 nach Schweden ins Exil ging, wusste er, wie glücklich man manchmal sein musste, um zu überleben. Aus seiner Zeitzeugenaussage geht hervor, dass sein Schicksal oft auf dem Spiel stand: Tschechische Gendarmen schossen nicht auf ihn am Bahnhof in Stříbro, als er aus einem Zug entkam, der mit Häftlingen besetzt war, die zur Auslieferung an die Gestapo bestimmt waren. Ein tschechischer Gendarm übergab ihn und seine Frau nicht der Gestapo, nachdem er sie im Lager Vidovice bei Prag entdeckt hatte. Andere hatten weniger Glück, darunter Ottos älterer Bruder Max (1909-1957) und sein Vater Richard (1885-1956), sie wurden festgenommen und in Gefängnisse und Konzentrationslager gebracht.

Im Dezember 1938 konnte Otto Seidl und seine Ehefrau zusammen mit einigen hundert anderen sudetendeutschen Sozialdemokraten durch den polnischen Korridor nach Danzig entkommen und von dort über Lettland mit dem Schiff nach Stockholm reisen. Dort trafen sie am Heiligabend 1938 ein. Seinen neuen Lebensmittelpunkt fand er in Eskilstuna, zuerst im Lager in Slätviken am Mälarensee. Später wohnten die Seidls in der Südstadt von Eskil-stuna. Otto Seidl fand Arbeit in einem Radiogeschäft und spielte im Eskilstuna-Symphonie-orchester und nach dessen Auflösung im Schützenmusikcorps. 1942 erhilet Otto Seidl Arbeit bei der Feilenfabrik Fil-Öberg und nach dem Krieg in einer Waagen- und Lautsprecherfabrik.

Im schwedischen Exil hatte Otto Seidl keine Gelegenheit, sich maßgeblich am Widerstand gegen die Nazis zu beteiligen. Allerdings war er Mitglied der schwedischen Treuegemein-schaft Sudetendeutscher Sozialdemokraten, deren Zentrum Eskilstuna war. Er verfolgte auch aufmerksam die Diskussionen über den Umgang mit den Deutschen aus der Tschechoslo-wakei nach dem Krieg. Als Anhänger von Wenzel Jaksch lehnte er die kollektive Bestrafung aller Deutschen und Pläne zu ihrer Vertreibung nach dem Krieg entschieden ab. Otto Seidl engagierte sich in der Treuegemeinschaft sudetendeutscher Sozialdemokraten und wurde 1978 deren Vorsitzender, ein Amt, das er bis zu seinem Tode innehatte.

Die Eltern von Otto Seidl verließen 1946 mit einem antifaschistischen Transport die Tsche-choslowakei und ließen sich in Bayern nieder. Bruder Max folgte ein Jahr später. Beide Eltern und Bruder starben 1956 und 1957.

1948 nahm er die schwedische Staatsbürgerschaft an – er galt als staatenlos – und musste 1949 einen 1/2jährigen Militärdienst antreten. Hier wurde sein Talent als Musiker entdeckt und er kam zum 30-köpfigen Militärorchester, bei dem er auch nach Beendigung seiner Dienstpflicht weiterspielte.

1950 wurde Otto Seidl Leiter der Stadtkapelle und der Musikschule in Eskilstuna und bekam 1956 eine Beamtenstelle als Musikschullehrer die er bis zu seiner Pensionierung 1978 be-hielt.

Otto Seidl war auch Motor und Seele der 1961 gegründeten Städtepartnerschaft zwischen Eskilstuna und Erlangen. Initiiert hatte sie das Siemensvorstandsmitglied Arne Feichtinger, der als Generalvertreter für Siemens in Schweden die Svenska-Siemens betreute.

Bei den jährlichen Treffen der Seliger-Gemeinde in Brannenburg in Oberbayern ist Otto Seidl regelmäßig bis ins hohe Alter dabei gewesen. 1993 wurde ihm für seine Verdienste der Wenzl-Jaksch-Gedächtnispreis verliehen.

Otto Seidl hatte insgesamt 6 Kinder und 7 Enkelkinder. Er starb am 30. Januar 2013 kurz vor seinem 100. Geburtstag in Eskilstuna.

 

Jahresmotto 2023

Böhmen liegt nicht am Meer

Josef-Seliger (1870 - 1920)

Ausstellung

 

Film

Volkshaus.net

100 Jahre DSAP

Zur Jubiläumsseite - Zum Geburtstags-Tagebuch

Zum Bundesverband

Die Brücke

 

Mach doch mit!

WebSozis

Soziserver - Webhosting von Sozis für Sozis WebSozis

gefördert durch:

        

   

Wir bedanken uns bei den genannten Fördermittelgebern für die Unterstützung!