Anna Perthen (1866-1957)

Anna Perthen, geboren am 22. Dezember 1866 als Anna Nickel in Eulau bei Bodenbach (heute: Jílové u Děčín), stammte aus armen Verhältnissen und begann im Alter von 12 Jahren in einer in einer Textilfabrik in Bodenbach zu arbeiten, und sie arbeitete dort bis zu ihrer Heirat. Sie engagierte sich in der Sozialdemokratischen Partei Österreichs, wurde Vorsitzende des Sozialdemokratischen Reichsfrauenausschusses und Mitglied des Gemeinderats von Bodenbach.

Nach der Unabhängigkeit der Tschechoslowakei am Ende des Ersten Weltkriegs wurde Perthen Mitglied der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (DSAP) und die erste Vorsitzende des Frauenausschusses der Partei. Sie gehörte bis 1923 dem Parteivorstand an und war von 1923 bis 1932 Mitglied der Kontrollkommission. Sie war DSAP-Kandidatin für den Senat bei den Parlamentswahlen 1920, bei denen Frauen zum ersten Mal in den böhmischen Ländern wählen durften. Sie war eine von sechzehn Frauen, die ins Parlament gewählt wurden. Zusammen mit Božena Ecksteinová-Hniličková und Emma Marie Herzig war sie eine der ersten tschechoslowakischen Senatorinnen. Sie blieb bis 1925 im Parlament.

Im Senat widmete sich Perthen vor allem den Sozial- und Frauenfragen. Sie unterstützte z.B. das Verbot des „Lohn-Stillens“ und wollte, dass große Arbeitgeber den stillenden Frauen einen Raum fürs Stillen zur Verfügung stellen. Perthen unterstützte das Gesetz zur Sozial- und Krankenversicherung der Arbeitnehmer oder Änderungen, die eine bessere Position der Mütter und Witwer sicherte. Sie forderte auch die Abschaffung von Reisepässen und Visa bei Reisen nach Österreich und machte darauf aufmerksam, dass die Tschechoslowakischen Reisepässe nur Tschechisch und Französisch geschrieben sind und dass es damit schwierig für die deutsche Minderheit sei, sich so einen Reisepass anzuschaffen. Perthen war eine Sozialdemokratin und in keinem Fall Nationalistin; sie bemühte sich aber, dass die dt. Minderheit nicht um ihre Rechte gekürzt werde. In den späten 1920er Jahren gab sie mit ihrer Redakteurin Marie Seliger die „Gleichheit - Zeitschrift für die arbeitenden Frauen; & Junge Welt, Kinderbeilage der Gleichheit“ in Teplitz-Schönau heraus. 1932 und 1933 war sie Herausgeberin der Ausgaben der DSAP-Parteizeitung Gleichheit zum Frauentag. Für ihr Engagement erhielt sie den Spitznamen „Erweckerin der böhmischen Arbeiterinnenbewegung“.

Nach 1945 wurde sie als Sozialistin in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) vertrieben, wo sie am 11.12.1957 Magdala bei Jena starb.

Anna Perthen beschreibt ihre Kindheit:

"Der Lohn des Vaters war niedrig, so dass die Mutter immer gleich nach der nach der Geburt und trotz neun Kindern immer gleich wieder arbeiten gehen musste. Da der Weg zur Fabrik für uns zu weit war, arbeiteten wir zu Hause, haben Knöpfe angenäht. Von den neun Geschwistern haben nur drei überlebt. Mutters Erschöpfung und Unterernährung könnten die Ursache für ihren Tod gewesen sein.

Als ich zwölf Jahre alt war, musste ich in der Textilindustrie arbeiten, wo die Arbeitszeiten damals von 5 Uhr morgens bis 7 Uhr abends dauerten. Nachmittags von 4 bis 6 Uhr gingen wir in die Fabrikschule, die in einem Gasthaus neben der Fabrik stattfand. Lernen war kaum möglich, wir sahen diese zwei Stunden eher als Erholung an. Waren wir doch Kinder von 12 bis 13 Jahren, die von 5 Uhr früh arbeiten mussten. Und geschenkt wurde uns wahrlich nichts, im Gegenteil, die Arbeit war eine nervenanspannende.

Wenn ich nach Hause ging, um zu schlafen, musste ich um 3.30 Uhr aufstehen, weil der Weg zur Fabrik sehr lang war. Zeitweise wohnte ich in der Stadt und ging nur samstags nach Hause. In der Fabrik schliefen wir auf einem Dachboden, wo es sogenannte lange Bretterbetten gab und Strohmatratzen, die nebeneinanderstanden. Wir hatten Glück, weil dort auch ältere Frauen waren, die sich um uns kümmerten.

Ich war froh, dass ich Geld verdiente, aber oft war die Enttäuschung bitter. Der Lohn war gering. Die zwei Stunden Schulunterricht wurden natürlich von unserem Geld abgezogen. Wenn ich die Unterkunft bezahlt hatte, blieb nur wenig übrig, und samstags wartete Vater schon, um mir den Rest des Geldes abzuknöpfen, so dass mir nur der Betrag blieb, den ich für die Brückenmaut zahlen musste. So ging es Woche für Woche; ich hatte, trotzdem ich schon so jung arbeiten gehen musste, kaum das Notdürftigste anzuziehen.

Als ich vierzehn war, ging ich zusammen mit meinen Eltern in eine Fabrik, aber wir mussten trotzdem sonntags und nachts zu Hause arbeiten. Als ein sechswöchiger Streik für kürzere Arbeitszeiten begann, wurde ich in eine andere Fabrik geschickt. Vater, der im Streik aktiv war, wurde entlassen und fand nirgendwo mehr eine Arbeit. So waren Mutter und ich es, die sich um die anderen Geschwister kümmerten. Ich blieb noch lange in dieser Fabrik, auch nachdem ich verheiratet war; denn wie bei den meisten armen Mädchen begannen nach der Hochzeit mehr Kummer und Probleme. So auch für mich." (aus: Am Anfang in Bodenbach, Gedenkbuch 20 Jahre österreichische Arbeiterinnenbewegung, Wien 1912)

Anna Perthen (Bodenbach) beim DSAP-Parteitag vom 30.8.-3.9.1919:

„Auch uns berührt es schmerzlich, dass wir uns von den österreichischen Schwestern trennen müssen. Seit Jahrzehnten mit ihnen vereint, kämpfen wir um die politische Gleichberechtigung. Da wir nun den gemeinsamen Erfolg ausnützen könnten, werden wir gewaltsam getrennt. Doch auch die Frauen können die Grenzen nicht trennen. Mit Freude begrüßen wir es, dass jetzt die Frauen der gemeinsamen Organisation angehören sollen. Das ist schon deshalb gut, weil in der letzten Zeit eine Reihe von Organisationen entstanden ist, in denen noch ungeschulte Genossinnen an der Spitze stehen. Die Frauensektionen haben den Vorteil, dass sich auch die Frauen trotz der Gemeinsamkeit selbständig betätigen können. Die größeren Frauenorganisationen werden sich allerdings in gemeinsame Organisationen nicht so leicht hineinfinden, da sie gewöhnt sind, selbständig zu arbeiten. Nur dort sind die Sektionen am Platze, wo es genug geschulte Genossinnen gibt. Wir wissen, dass es schwer sein wird, die Beitragserhöhung unter den Frauen durchzuführen. Wir begreifen aber, dass diese Erhöhung unbedingt notwendig ist. Wenn wir nun unsere Organisation einrichten, so verlieren wir hiermit unser Organ, die „Arbeiterinnen-Zeitung“. Wir müssen uns eine neue Zeitung schaffen; dazu brauchen wir Mittel. Doch wird es auch den Bezirksorganisationen möglich gemacht, sich durch die Zuweisung Bezirkssekretariate einzurichten. Es soll aber auch dahin kommen, dass es möglich wird, wenn die Organisation der Frauen wäscht, Bezirkssekretärinnen anzustellen. Wir müssen unser Augenmerk auch auf die Bildung der Frauen richten. Dazu ist es notwendig, Lese- und Diskussionsabende hauptsächlich für die Frauen einzurichten.

Arbeiterinnenschulen zur Ausbildung von Funktionärinnen und Rednerinnen tun uns not. Es ist viel Eifer vorhanden. In der letzten Zeit hat sich eine Anzahl von Genossinnen gefunden, die hinausgehen in die Versammlungen, um dort Aufklärung zu verbreiten. Möge dieses Statut den Weg bahnen, die Frauen mit den Männern zu vereinen zu festen Organisationen. Ich möchte an die Genossen auch den Appell richten, sie mögen den Frauen, wenn sie sie in ihre Organisationen aufnehmen, die gleichen Rechte in den Vertretungen und in der Delegierung gewähren. Trachten Sie, dass die Frauen, die jetzt in Ihre Organisation treten, aufgeklärt werden, so dass sie mithelfen können, die Organisation nach jeder Richtung zu fördern. Die Frauen werden willige Schülerinnen sein".

Quelle: Protokoll des Parteitages der DSAP 30.8.-3.9.1919

 

Jahresmotto 2024

 

Böhmen liegt nicht am Meer

Josef-Seliger (1870 - 1920)

Ausstellung

 

Film

Volkshaus.net

100 Jahre DSAP

Zur Jubiläumsseite - Zum Geburtstags-Tagebuch

Zum Bundesverband

Die Brücke

 

Mach doch mit!

WebSozis

Soziserver - Webhosting von Sozis für Sozis WebSozis

gefördert durch:

        

   

Wir bedanken uns bei den genannten Fördermittelgebern für die Unterstützung!