Hugo Iltis (1882-1952)

Genetiker und Volksbildner – Sozialdemokrat und Kritikers der NS-Rassenideologie

Hugo Iltis, der aus einer jüdischen Arztfamilie in Brünn stammte, begann sich schon in jungen Jahren für die Vererbungslehre von Gregor Mendel zu interessieren. Nach dem Schulabschluss studierte er Botanik unter anderem an den Universitäten Zürich und Prag. 1903 promovierte er am Botanischen Institut der Karl-Ferdinands-Universität in Prag.

Seine große Verehrung Gregor Mendels und dessen zu Lebzeiten nur wenig gewürdigter Forschungsarbeit führte Iltis dazu, sich als Schriftführer in einem 1905 geschaffenen „Denkmallokalkomitee“ für die Errichtung eines Gregor-Mendel-Denkmals in Brünn zu engagieren, das im Oktober 1910 als überlebensgroße Marmorfigur Mendels im Stiftsmantel enthüllt wurde. Heute steht das Denkmal im Augustinergarten in Brünn.

Während des Ersten Weltkriegs war Iltis zunächst im Ausschuss der Zentralsammelstelle des Roten Kreuzes in Brünn tätig, anschließend leitete er als Kommandant die Brünner Sanitätsabteilung, bevor er 1917 als Frontsoldat an den Isonzo abkommandiert wurde.

Seine intensive Beschäftigung mit dem Leben und Werk Gregor Mendels führte nach dem Ersten Welt krieg zur Gründung des Gregor-Mendel-Museums („Mendelianum“) in Brünn. Neben seiner Lehre als Privatdozent für Botanik und Genetik an der Deutschen Technischen Hochschule arbeitete Iltis bis 1936 als Mathematiklehrer am Deutschen Gymnasium in Brünn.

Im Rahmen der im Jahr 1922 von der Deutschen Gesellschaft für Vererbungswissenschaft und der Deutschen Botanischen Gesellschaft an der Universität Wien abgehaltenen Generalversammlung organisierte Hugo Iltis eine internationale Gregor-Mendel- Feier in Brünn, zu der er eine Festschrift herausgab. Zwei Jahre danach publizierte der mit dem österreichischen Biologen Paul Kammerer befreundete Iltis mit seiner Biografie zu Gregor Mendel ein breit rezipiertes Standardwerk, das 1932 ins Englische übersetzt wurde und bis heute aufgelegt wird.

Kämpfer gegen den Rassenwahn der Nazis

Lange bevor Iltis aufgrund seiner Schrift »Der Mythus von Blut und Rasse« als „Kämpfer gegen den Rassenwahn“ apostrophiert wurde, hatte er sich in Vorträgen und Schriften gegen die Unwissenschaftlichkeit des Rassismus gewandt und vor den Gefahren des politischen Rassismus, den er als „politisches Giftgas der Völker“ bezeichnete, gewarnt. Iltis gehörte zu den ersten Autoren, die den Begriff des Rassismus prägten. Dabei fasst er diesen Begriff relativ weit: Für ihn gehörten auch der Kolonialismus und die imperialistische Aufteilung und Ausbeutung der Welt hinzu. Bereits 1929 hatte Iltis in der vom Reichsausschuss für sozialistische Bildungsarbeit in Berlin herausgegebenen Zeitschrift Sozialistische Bildung eine größere Abhandlung über „Rasseforschung und Rassenfrage“ publiziert, und 1930 veröffentlichte er im Verlag der Urania Jena seine »Volkstümliche Rassenkunde«, in der er – in grundsätzlicher Akzeptanz des rassenkundlichen Einteilungsprinzips – auch vor den Gefahren der unwissenschaftlichen rassenbiologischen warnte und besonderes Interesse auch da durch weckte, da hier „zum ersten Male von einem auf dem Boden des Sozialismus stehenden Naturforscher eine Kritik der Rassenkunde unternommen“ wurde.

Insbesondere mit seinem bereits genannten Buch »Der Mythus von Blut und Rasse«, das sich aus wissenschaftlicher Sicht vehement gegen die nationalsozialistischen Rassentheorien und die Nürnberger Rassengesetze wandte, hatte sich Iltis als entschiedener Gegner des Nationalsozialismus exponiert. Durch seine Entlarvung des „Rassendogmatismus des Dritten Reichs [...] als Verdrängungserscheinung eines Minderwertigkeitskomplexes“ galt er als „politisch verdächtig“, und sein Leben war zunehmend in Gefahr.

Ins Exil nach USA

Im Jänner 1938 hatte Hugo Iltis noch eine Ernst-Mach*-Gedenkfeier in Brünn organisiert, bei der unter anderem an Machs Geburtshaus eine Gedenktafel angebracht wurde. Am 23. April 1938, also rund einen Monat nach der Annexion Österreichs durch Hitler, wandte sich Albert Einstein mit einem Hilferuf an den Anthropologen Franz Boas, der an der Columbia University in New York lehrte und gemeinsam mit dem Genetiker L. C. Dunn im „Emergency Committee for Displaced Persons“ aktiv war. Professor Iltis sei dadurch ‚politisch belastet‘, dass er eine kleine Kampfschrift gegen den Schwindel der deutschen Rassen-Mystik hat erscheinen lassen, und die gegenwärtige Situation habe es auch schon mit sich gebracht, dass er seines Lebens in der Czechoslowakei nicht mehr sicher sei, so Einstein. Und weiter: “Ich glaube, dass es unsere Pflicht ist, unser Möglichstes zu tun, diesen Mann zu retten, solange es noch Zeit ist“. Die Bemühungen von Boas und Dunn hatten aber erst in der politisch verschärften Situation nach dem Münchner Abkommen kurz vor dem Überfall auf die Tschechoslowakei Erfolg. Mit Unterstützung des „Emergency Committee for Displaced German Scholars“ verhalfen sie Iltis, seiner Frau und den beiden Söhnen (und dem Inventar des Mendel-Museums) Ende Oktober 1938 zur Emigration in die USA, wo er zunächst eine Stelle an der Fredericksburg School in Virginia antrat. Dort richtete er auch wieder ein Mendel Museum ein, in das er seine Sammlung aus Brünn einbrachte und als dessen Kuratorin seine Frau Anne Liebscher Iltis eingesetzt wurde. 1944 erhielt Hugo Iltis die US-Staatsbürgerschaft.

Deutschland - vom „Land der Dichter und Denker“ zum „Land der Richter und Henker“

Motiviert durch seine Erfahrungen mit dem deutschen Wissenschaftssystem und um einen „Dritten Weltkrieg“ zu verhindern, hatte Iltis im Juni 1945 Henry A. Wallace Vorschläge zum Wiederaufbau des deutschen Wissenschaftssystems unterbreitet. In seinen Überlegungen sprach sich Iltis für eine möglichst frühe Öffnung der Volks- und Mittelschulen aus, plädierte jedoch für ein zumindest zweijähriges Moratorium bis zur Wiedereröffnung der Universitäten und Hochschulen in Österreich und Deutschland nach Kriegsende und begründete seinen Vorschlag damit, dass die Universitäten sowie das gesamte Wissenschaftssystem in der NSZeit die zentralen „Brutstätten“ der nationalsozialistischen Rassenideologie waren, deren autoritärantidemokratische Wurzeln freilich weit in die Geschichte zurückreichen. Im gerne als „Land der Dichter und Denker“ verklärten Deutschland, das zu weiten Teilen durch die wissenschaftlich-kulturellen Leistungen der jüdischen Intelligenz mitgeprägt war, sei das dumpf-völkische, reaktionäre und rassistische Überlegenheitsressentiment unter Universitätsprofessoren und Oberlehrern, das auch Adolf Hitler als prägend für seine eigene Entwicklung beschrieb, weit verbreitet gewesen; ein geistiges Klima, das den Weg zum „Land der Richter und Henker“ ebnen half.

Für diese schleichende Vergiftung des deutschen Geisteslebens machte Iltis insbesondere die Universitäten verantwortlich. Für Iltis, der – trotz aller not wendigen alliierten Kontrollmaßnahmen – im demokratischen Selbstlernprozess der Deutschen das einzig nachhaltige Veränderungspotenzial sah, schien eine zweijährige Schließung der Universitäten auch deshalb vertretbar, da diese Zeitspanne nur einen Teil jener Zeit ausmache, welche die Universitäten in den von Deutschland besetzten Gebieten geschlossen gewesen waren. Die wissenschafts- und bildungspolitischen Vorschläge von Hugo Iltis blieben, wie andere auch, beim Wiederaufbau der deutschen und österreichischen Universitäten bekanntermaßen gänzlich unberücksichtigt.

 

Gebäude der Volkshochschule in Brünn/Brno

Die Volkshochschule Brünn

Hugo Iltis gründete 1920 die Volkshochschule Brünn, die er bis 1938 als Direktor leitete. Eine seiner Schülerinnen dort, Anne Liebscher, wurde seine Ehefrau.  

Iltis hatte sich zuvor eingehend mit der Entwicklung der ruralen Heimvolkshochschulen in

Dänemark und der städtischen Abendvolkshochschulen in Deutschland befasst. Besonders beeindruckt zeigte sich der Sozialdemokrat Iltis von der engen Kooperation mit der Arbeiterschaft und der Gewerkschaft in Berlin, aber auch von der Arbeiterbildung an der Volkshochschule Jena und in Tinz. Die demokratische Grundauffassung der neugeschaffenen Bildungsstätte fand unter anderem auch in der Geschäftsordnung Ausdruck, wonach im Leitungsausschuss der Volkshochschule neben dem „Lehrerrat“ auch ein „Hörerrat“ vertreten war.

Trotz anfänglicher Schwierigkeiten verlief die mit Engagement betriebene Aufbauarbeit bis 1938 außerordentlich erfolgreich. Ab 1927 publizierte die Volkshochschule unter dem Titel Licht ins Volk eine eigene Vierteljahresschrift, und nachdem es Iltis gelungen war, die finanziellen Mittel für den Kauf eines eigenen Gebäudes für die Volkshochschule zu sammeln, wurde dieses 1931 feierlich eröffnet. Die damals noch wenig verbreitete Erwachsenenbildung war ihm als einem aktiven Sozialisten ein großes Anliegen. In ihr sah er die Grundlage für die künftige Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft.

Hugo Iltis starb 22.06.1952 in Fredericksburg.

Gedenken beim Meeting Brno 2022

„Die gemeinsame festliche Aufführung der deutschen und tschechischen Operntruppen im Stadttheater mag unseren Gästen als eine beeindruckende künstlerische Leistung erschienen sein – aber für uns, die wie Mendel in dieser Stadt zu Hause sind, hat sie mehr bedeutet. Was in unserem Land, wo nationalistischer Wahnsinn zwei tüchtige Nationen zu eingeschworenen Feinden machte, bis dahin als reine Unmöglichkeit erscheinen konnte, […] ist Wirklichkeit geworden und damit auch die größte Bereicherung, die die Mendel-Feierlichkeiten für Mendels Heimat hätten bringen können.“ Diese Bemerkungen machte der Brünner Sozialdemokrat Hugo Iltis über eine tschechisch-deutsche Musikaufführung, die 1922 im Rahmen der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag von Gregor Johann Mendel stattfand. Hugo Iltis war nicht nur der Hauptorganisator dieser Feierlichkeiten sondern auch der Initiator der erwähnten Zusammenarbeit zwischen tschechischen und deutschen Theatergruppen.

Das Meeting Brno Festival 2022 brachte, ein Jahrhundert nach diesen Feierlichkeiten, das Kammerorchester der Tschechischen Akademie der Wissenschaften nach Brünn, um die Erinnerung an GJ Mendel und Hugo Iltis zu ehren. Das Kammerorchester ist ein nicht-professionelles Ensemble aus aktiven Musikern aus verschiedenen Teilen der Welt, die auch Wissenschaftler in vielen Disziplinen sind und durch ihre Liebe zu Kunst und Wissenschaft zusammengeführt werden.

Mit der Installation eines Stolpersteins – eines Steins zum Gedenken an die Verschwundenen – für Hugo Iltis und seine Familie schloss das Meeting Brno die Gedenkveranstaltung zu Hugo Iltis.

 

*Ernst-Mach (1838-1916), ein weiterer berühmter Wissenschaftler und Sozialdemokrat aus Brünn

 

Quellen: Kurzbiografie von Christian H. Stifter und WIKIPEDIA

 

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