Geburtstagsfeier für Olga

Veröffentlicht am 09.10.2020 in

Bilder und Text: Ulrich Miksch

Olga Sippls Geburtstagsfeier zum 100.

Am Vortag ihres 100. Geburtstages sprach Olga Sippl am Telefon aus dem Augustinum, wo sie seit Jahren lebt und wohin sie ihr Parteifreund Hans-Jochen Vogel gelockt hatte, sie hätte im Anbetracht der kommenden Feierlichkeiten zu ihrem Jahrhundertjubiläum schon mal an der Rezeption bescheid gesagt. Falls sich dort eine Frau Corona melden würde. Diese Dame hätte sie nicht zu ihrem Geburtstag eingeladen! Die solle gefälligst fern bleiben.

So richtig vorbeigekommen ist sie dann auch nicht – so hoffen wir alle, aber das Corona-Virus hat sich in München über Gebühr breitgemacht, sodass die Feierlichkeiten zu Olga Sippls 100., die die SPD-Landtagsfraktion mit einem Empfang würdigen wollte, am Mittwoch Abend abgesagt werden mussten und auf später verschoben sind. Da man Geburtstage, zumal solche hohen nicht einfach verschieben kann, gab es nun doch wegen der vielen Vorbereitungen eine kleine Feier im Wirtshaus am Rosengarten am Samstag, den 26.9., bei der wichtige Geburtstagsgeschenke überreicht werden konnten.

Christa Naaß und Albrecht Schläger kamen direkt von den Beratungen des Sudetendeutschen Rates vorbei auch mit einem herzlichen Gruß von Bernd Posselt, der schon am Tag ihres Geburtstages (19.9.2020) mit ihr telefoniert hatte. Volkmar Halbleib, als Vertriebenenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, und Natascha Kohnen, die SPD-Landesvorsitzende, schlugen am Samstag Nachmittag ebenso im Wirtshaus auf, wie der Vorsitzende der Seliger Gemeinde Helmut Eikam und der Karlsbader Landsmann und besonders enge Freund Peter Becher. Organisiert hatte die kleine Zusammenkunft Renate Slawik, die schon im Vorfeld Olga Sippl erheblich unter die Arme gegriffen hatte.

Alle, die kamen brachten etwas mit, was wiederum Olga Sippl veranlasste passende Erinnerungen aus ihrem Leben und Ermutigungen beizusteuern. Helmut Eikam hatte die Titelseite des Karlsbader sozialdemokratischem Blatt „Der Volkswille“ vom Sonntag, den 19.9.1920 in einen Bilderrahmen gepackt, dabei. Und las die Schlagzeile jenes denkwürdigen Tages, an dem sich der schicksalhafte Karlsbader Parteitag von Anfang Oktober schon abzeichnete, an dem Josef Seliger eine letzte Anstrengung machte, die Einheit der sozialdemokratischen Partei gegen die radikalen Strömungen vor allem aus Reichenberg zu erhalten: „Es geht ums alles“.

Ja auch bei Olgas Leben ging es häufig um alles, obwohl sie doch ein Sonntagskind war. Olga Sippl dankte für den schönen Einfall und wusste zu berichten, wie stark damals der „Volkswille“ in Altrohlau, der Porzellanarbeiterstadt gelesen wurde. Nur wenige in ihrer Umgebung bekamen die Zeitung nicht. Dann ergriff Volkmar Halbleib das Wort und überbrachte die besten Wünsche von Horst Arnold, dem Vorsitzenden der SPD-Landtagsfraktion, deren Geschenk – ein Empfang der Fraktion, der bald nachgeholt werden soll – eine Erklärung bedürfe, denn Olga Sippl war nie Mitglied des Landtages. In ihrer Person stelle sie aber eine lebende Verbindung zu den prägenden sudetendeutschen sozialdemokratischen Abgeordneten des Landtages seit 1948 her. Sie verbinde das sudetendeutsche Erbe mit einer konsequent antifaschistischen und sozialdemokratischen Haltung. Gerade für das bayrisch-tschechische Verhältnis sei dies besonders hervorzuheben, seitdem sich die bayrisch-tschechischen Beziehungen vorteilhaft entwickeln – nicht ohne Zutun der SG und von Olga Sippl. Und schließlich sei der wichtige Traditionsbegriff der Sozialdemokratie: die Freundschaft bei ihr vorbildlich ausgeprägt. Immer wieder wirke sie auch mit ihren Schreiben auf der Reiseschreibmaschine für nachdrückliche Aufforderungen zu kameradschaftlichem Handeln für die gemeinsamen Ziele der Sozialdemokratie. „Wir brauchen Dich, auch in den nächsten Jahren“ endete Halbleib seine Würdigung.

Olga Sippl wusste darauf nur einzuwenden, dass sie immer eine Zuarbeiterin gewesen sei. Marie Günzel, die sudetendeutsche Landtagsabgeordnete, wollte, dass Olga ihr Mandat übernehmen sollte. Doch Olga lehnte ab und beharrte auf ihrer Rolle als Zuarbeiterin, die die SG auf den Beinen hielt und damit der Partei sicher besser nützlich war. Volkmar Gabert hätte immer gesagt, dass er sich auf seine Hausmacht – und damit meinte er Olga Sippl – immer verlassen könne. Darauf folgte Natascha Kohnen, die unter anderem berichtete, dass sie mit dem Willy-Brandt-Haus in Berlin in Verhandlung stand für eine Ehrung für Olga. Man habe aber feststellen müssen, dass Olga bereits alle Auszeichnungen der Partei besäße, so schenke sie Olga ein Buch, dass sie ihr gerne vorlesen würde, gemeinsam mit ihrer Tochter, der sie in den letzten Jahren immer von ihren Begegnungen mit Olga, dem wandelnden Geschichtsbuch erzählt habe.

Dann verlas Christa Naaß den Glückwunsch vom stellvertretenden Parteivorsitzenden der CSSD und Außenminister der Tschechischen Republik Tomas Petricek. Er erinnerte in seinem Schreiben an die schwierige Zeit durch die die Sozialdemokratie derzeit steuere, aber im 20. Jahrhundert sei es vielfach schlimmer gestanden, woran gerade auch der Lebensweg Olga Sippls erinnere. Olga verliere sich aber nicht in der historischen Erzählung, sondern ziehe Schlüsse für die Gegenwart. Davon zeuge die gute Arbeit der Seliger-Gemeinde, deren Ehrenvorsitzende sie sei. Man blicke mit Genugtuung auf die intensive Zusammenarbeit seit 1989 zurück. Und schloss mit: „Freundschaft! Glück Auf! – Tomas Petricek.“

Albrecht Schläger wiederum ergriff das Wort für die Verlesung der Glückwünsche der Demokratischen Masaryk-Akademie an Olga Sippl. Der Vorsitzende Lubomir Zaoralek und der Direktor Vladimir Spidla dieser tschechischen Einrichtung, erinnerten an das Wirken der SG im Kalten Krieg, die immer versöhnliche Töne aussandte und an die man nach 1989 gut anknüpfen konnte. Mittlerweile verbinde die SG und die Masaryk-Akademie eine vielfältige Zusammenarbeit bei verschiedenen Projekten.

Olga Sippl selbst zog nun noch einen ihr vom Bundespräsidenten Steinmeier geschickten Glückwunsch-Brief aus ihrer Tasche. Alle 100-jährigen bekommen wohl ein Anschreiben des Staatsoberhauptes. Aber Olga war sehr angetan von der persönlichen Würdigung, die Steinmeier verfasst hatte. Er dankte der mutigen Kämpferin für Demokratie. „Ihre Heimat, das Sudetenland, mussten sie als junge Frau verlassen. Sie haben am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, wenn Menschenrechte und Menschenwürde durch den Staat zerstört werden. Heute ist die Versöhnung zwischen den Deutschen und den Tschechen zu Ihrer Lebensaufgabe geworden. Die Erinnerung an das Geschehene wach zu halten und junge Menschen vor den Gefahren von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit zu warnen, ist Ihnen ein Herzensanliegen. Als Ehrenvorsitzende der Seliger-Gemeinde setzen Sie sich für den Erhalt einer freiheitlichen und humanistischen Idealen verpflichteten demokratischen Gesellschaft ein. (...) Gerade die junge Generation ist auf Menschen wie Sie mit ihren eindrücklichen Schilderungen und Erinnerungen angewiesen.“

Peter Becher, der wochenlang die vielen Freunde von Olga Sippl in Europa aufspürte und ermunterte, konnte ein in rotes Leder gebundene „Buch der Freunde“ in Olga Sippls Hände legen. Jeder der Angesprochenen hatte ein Foto und einige Zeilen der Erinnerung gesandt, die als „pdf –Dokument“ nunmehr allen Interessierten zur Verfügung steht und bei der SG in München erfragt und elektronisch bezogen werden kann. Olga Sippl war hoch erfreut über diese schöne Idee, die sie als „Schreiberling“, als die sie sich immer wieder bezeichnete, auch mit einem kleinen Heftchen: „Abendrot. Gereimte Zeitgedanken von Olga Sippl. 2020“ bedankte. Noch im Wirtshaus schrieb sie Widmungen in die kleine Broschüre für alle Gratulanten. Sie wird wohl noch einige weitere postalisch auf den Weg bringen.

Doch am Schluss der Veranstaltung wurde noch ein besonderer Geburtstagsgruß aus Altrohlau per Film auf einem Laptop gezeigt. Die Schule, in der ihr Vater Schulwart war und in der sie aufwuchs, gleich neben dem ebenfalls noch erhaltenen Arbeiterheim, ist noch heute eine Grundschule in Stara Role. Schüler dieser Schule hatten einen kleinen Film zusammengestellt und zeigten ihre Aktivitäten und was für sie selbst noch die deutsche Vergangenheit darstellte – alte Postkartenansichten, Kirchenbilder. Zwei ältere Schüler, der 9. Klasse?, sprachen die Jubilarin dann auch direkt an. In schönem Deutsch wünschten sie „Frau Olga“ viele Geschenke, die es nicht zu kaufen gibt: ein Funkeln in den Augen und ein Lachen im Gesicht. Und endeten mit den Worten: „Es ist schön, dass sie es gibt.“

 

 

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