Jahresseminar 2018 in Bad Alexandersbad

Veröffentlicht am 25.10.2018 in

Foto: Siegfried Träger

Dr. Thomas Oellermann (2.v.re.) im Zeitzeugengespräch mit Harry (li.) und Peter (2.v.li.) Hofbauer sowie Peter Krywult (re.) aus Schweden

 

1938-2018: 80 Jahre Flucht und Emigration III  -  „Starke Erlebnisse“

Egal wohin die sudetendeutschen Sozialdemokraten flüchteten, einfach war es nirgends. Aber sie kämpften sich durch. Hatte die erste Generation aufgrund der Sprachbarrieren oft nur die Möglichkeit einfache Arbeiten als Farmer oder Fabrikarbeiter zu verrichten um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, machte schon die 2. Generation oftmals Karriere.

 

Von allen aber wird berichtet, wie sie im Exil versuchten ihre eigene Geschichte und Identität zu bewahren. Integration bedeutet nämlich nicht Selbstaufgabe und Assimilierung, sondern den Erhalt der eigenen Sprache und Bräuche in einer neuen Heimat.

 

Jene, die das Leben in der inzwischen zur Heimat gewordenen Fremde nicht mehr aufgeben wollten (mehr als 10 Jahre Arbeit für eine neue Existenz lag hinter ihnen), bewiesen aber mit ihrem Bekenntnis zur Gesinnungsgemeinschaft sudetendeutscher Sozialdemokraten - der Seliger-Gemeinde -‚ dass alte Wurzeln nicht absterben. Die Auslandsgruppen sind deshalb ein wertvoller Teil unserer Gemeinschaft. Nur mit wenigen gab es nach dem Kriege und seit der Gründung der Seliger-Gemeinde ein Wiedersehen.

 

Viele Auslandsgruppen in England, Kanada, Schweden und Osterreich haben durch Überalterung und Tod vieler Mitglieder und dem fehlenden Nachwuchs ihre Tätigkeit extrem reduzieren bzw. einstellen müssen. Trotzdem ist das Band der Freundschaft nie zerrissen.

 

Somit freute es die Versammlung besonders die Gäste aus Schweden zu begrüßen. Peter und Harry Hofbauer, die Enkel von Josef Hofbauer kamen zur Vorstellung des Masaryk-Buches ihres Großvaters und nutzten die Gelegenheit, die  Jahrestagung der Seliger Gemeinde zu besuchen. Peter Krywult kam, wie schon 2017 als offizielle Vertreter der schwedischen Gruppe zur Bundesversammlung und nahm ebenso am Seminar teil. In einem Zeitzeugen-Gespräch thematisierte Dr. Thomas Oellermann die Situation der Kinder- und Enkelgeneration und ihren Bezug zur Geschichte der Vorfahren.

 

Wer bin ich? Was bin ich?

 

Harry und Peter Hofbauer erzählten, dass ihr Vater nie über die Vergangenheit erzählte, selbst als die Familie 1991 beschloss nach Prag zu fahren, schwieg der Vater weiter.

Die Brüder Hofbauer hatten einen Koffer des Großvaters zu Hause auf dem Dachboden gefunden, in dem viele Unterlagen und Gedichte über die "alte Heimat" lagen. Einen Reim darauf konnten sie sich nicht machen.  Erst als sie Kontakt mit Dr. Thomas Oellermann aufnahmen und ihn in Aussig besuchten, erschloss sich ihnen die ganze Geschichte ihrer Familie, auf die mittlerweile sehr stolz sind. Die Brüder übergaben den Nachlass dem Collegium Bohemicum zur weiteren wissenschaftlichen Auswertung. "Das waren starke Erlebnisse", so die Brüder Hofbauer.

Auf die Frage nach ihrer Identität konnten die beiden Brüder erst nach langen Überlegungen Auskunft geben. Die Teilnehmer des Seminars lauschten gespannt dem inneren Dialog auf die Frage: „Wer bin ich? Was bin ich?“

Die Brüder wurden in Malmö/Schweden geboren, ihre Muttersprache ist Schwedisch, aber sie haben Zuhause zuerst Deutsch zu sprechen gelernt. Sie besitzen einen schwedischen Pass, aber ihr Vater ist in Teplitz/Böhmen geboren, die Mutter stammt aus der Tschechoslowakei nahe der Grenze zu Österreich bei Linz, der Großvater ist in Wien geboren. Der Großvater hatte 1948 plötzlich Schweden verlassen und ist in Frankfurt gestorben. Harry Hofbauer: „Vom Gefühl her bin ich kein Deutscher, aber auch kein Schwede!“ Vielleicht ein wenig Tscheche? Am ehesten wohl Österreicher!“

Thomas Oellermann fragte die beiden Brüder nach der Kindheit in Schweden – mit dem deutschen Namen „Hofbauer“ waren sie als „Fremde“ wohl schnell auszumachen? Dies verneinten die beiden Brüder vehement. Die schwedische Gesellschaft, so auch die Kinder in der Schule hatten damit kein Problem. „Wir waren Menschen, die in Schweden leben – es interessierte niemanden woher unser Name kam“, so Peter Hofbauer. „Wir waren akzeptiert und integriert. Deutschland, Tschechien, Böhmen sagte den Kindern eh nicht viel – Österreich kannten sie: Da kann man Skifahren!“  

Peter Krywult berichtete, dass sich seine eigene Familie nun wieder mit anderen Nachkommen von sudetendeutschen Emigranten trifft. „Da wächst was zusammen“, so Krywult, der erklärte, dass sich die Enkelkinder für ihre Herkunft interessierten und sich am 29.9.2018 bei einem ersten Treffen 50 Personen zusammen fanden. Dabei erfuhr er erst von Niederlassungen aus Nordschweden, die er bisher nicht kannte. Alle Familien hatten ihre eigene Geschichte auf 2-3 Seiten niedergeschrieben und zu einem kleinen Heft verbunden, das an alle verteilt wurde.

Peter Krywult erinnerte an Erzählungen von Otto Seidl (1913-2013) aus Kraslice/Graslitz, der lange Jahre der Vorsitzende der Treuegemeinschaft Sudetendeutscher Sozialdemokraten in Schweden war, und schloss so den Kreis zu den Ausführungen Thomas Oellermanns zu Beginn der Veranstaltung: "Ich gehörte von 1927 bis 1938 der Soziademokratischen Partei an, und als das Jahr 1938 mit dem Münchner Abkommen kam, so wurde es für uns Sozialdemokraten im Grenzgebiet so nahe an das Deutsche Reich oder das Dritte Reich, wie damals gesagt wurde, ziemlich gefährlich. Wir haben uns in der Nacht vom 22. zum 23. September nach Zentralböhmen evakuiert. Dort wurden wir in Flüchtlingslagern untergebracht, und eines Tages sind wir mit einem Zug nach Pilsen und weiter nach Mies transportiert worden. Der Zug mit den Antifaschisten fuhr aber weiter dann in dass deutsche Gebiet. Das war schon Anfang Oktober 1938. Meine Frau und ich - wir waren damals jung verheiratet - haben gewagt, aus dem fahrenden Zug abzuspringen, um nicht nach Deutschland gewaltsam überführt zu werden. Denn wir haben geahnt, was passieren würde."

 

Im Dezember 1938 konnte Otto Seidl und seine Ehefrau zusammen mit einigen hundert anderen sudetendeutschen Sozialdemokraten durch den polnischen Korridor nach Danzig entkommen und von dort über Lettland mit dem Schiff nach Stockholm reisen. Seinen neuen Lebensmittelpunkt fand er in Eskilstuna, wo er mit einem eigenen Orchester viele Jahre Wiener Musik spielte.

 

Auch an Karl Richard Kern (1902-1982) aus Graupen erinnerte Krywult. Zwischen 1929 und 1938 war Karl Kern Herausgeber der sozialdemokratischen Zeitungen in Prag, Reichenberg und Troppau. 1938 endete er als politischer Flüchtling in Malmö.

 

Gedacht wurde in diesem Zusammenhang auch denen, die es nicht rechtzeitig aus der Tschechischen Republik geschafft haben: u.a. Emil Strauß (1889-1942) oder Gretl Spitz (1916-1944) ...

 

1938-2018: 80 Jahre Flucht und Emigration I

1938-2018: 80 Jahre Flucht und Emigration II  -  1938 – "Es geht um Leben und Tod"

 

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