Jahresseminar 2018 in Bad Alexandersbad

Veröffentlicht am 25.10.2018 in

Foto: Siegfried Träger

Harry und Peter Hofbauer sowie Peter Krywult im Gespräch mit Dr. Thomas Oellermann

 

1938-2018: 80 Jahre Flucht und Emigration II  - 1938 "Es geht um Leben und Tod"

Die Zeit von Mai bis September 1938 war für die sudetendeutsche Sozialdemokratie eine Periode höchster Anspannung und eifriger Bemühungen, vielleicht doch noch in letzter Minute bei einer Lösung mitwirken zu können, welche eine sudetendeutsch-tschechische Katastrophe vermieden hätte. Ihr größter politischer Gegner, die Henlein-Partei, verstärkte zur gleichen Zeit mit reichsdeutscher Hilfe ihren entgegengesetzten Kurs. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht ins Sudetenland blieb vielen Funktionären nur noch die Flucht. Rund 3-4000 bei Leib und Leben bedrohten gelang die Flucht vornehmlich über Polen nach Schweden und England, von dort weiter nach Kanada, Bolivien oder Neuseeland.

Die reichsdeutsche Emigration in der Tschechoslowakei war seit dem Herbst 1938 und der ersten großen Fluchtwelle aus den sudetendeutschen Gebieten vor allem durch die Hilfsorganisationen, speziell die der jüdischen Gemeinde in Prag, in vielfältiger Weise mit der tschechoslowakischen Flüchtlingsbewegung verknüpft. Statistiken belegen, dass die Bereitschaft zum Verlassen der Heimat stieg demnach mit zunehmender Unabhängigkeit von familiären Bindungen; die unverheirateten Männer stellten den bei weitem größten Anteil der Flüchtlinge. Kinderlose Ehepaare und Kleinfamilien entschlossen sich leichter zur Flucht als Familien mit zwei oder mehr Kindern.

Die Fluchtberichte einzelner Genossen und Genossinnen ober Land nach Polen und von hier mit Küstenschiffen nach Norwegen, Finnland und Schweden beeindruckten die Zuhörer sehr. Ebenfalls die Berichte über die von vielen jüdischen Mitbürgern gewählte Fluchtroute Donau, über die dann das Schwarze Meer sowie das Mittelmeer mit Kähnen befahren wurde, um das rettende Palästina zu erreichen. Doch schon die Flucht aus Tschechien per Bahn, per LKW oder zu Fuß nach dem sie aus den Flüchtlingslagern und Transporten entkommen konnten, zeugt von der Gefährlichkeit der Aktionen. „Niemand nimmt diese Gefahren für sich und seine Familie auf sich, wenn er nicht um sein Leben fürchten muss“, so Thomas Oellermann, im Zusammenhang mit der Tatsache, dass die tschechische Regierung viele Flüchtlinge an die Nazis ausgeliefert hatte und diese direkt in die Konzentrationslager gebracht wurden.

Nur internationale Hilfe ermöglichte diese Flucht. Allein der vom Londoner Bürgermeisters Twyford unter Mithilfe des Erzbischofs von Canterbury gegründete „Lord Mayor's Czech Refugees Fund" (Spenden caritativer Organisationen, Kirche, politischer Parteien, Verbänden, Massenorganisationen und Privatpersonen) für Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei oder die britischen Staatsanleihen an die ČSR garantierte die Versorgung der Flüchtlinge und die Erstattung der Schiffspassagen und kostenpflichtige Visa (so 1500 $ für Kanada).

Die britische Labour Party gelangte unter dem Eindruck dreitägiger Gespräche insbesondere mit führenden Mitgliedern der DSAP und der Tschechoslowakischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei rasch zu der Überzeugung, dass mindestens 200 sudetendeutsche Sozialdemokraten in „immediate danger" seien und umgehend außer Landes gebracht werden müssten; besonders beunruhigt waren die Briten durch eine der DSAP-Führung aus tschechischen Militärkreisen zugespielte Information, wonach die deutsche Regierung die Auslieferung aller Sozialisten aus den sudetendeutschen Gebieten verlangen werde. Bemühungen der Labour-Politiker, Transitvisa für Polen, Ungarn, Jugoslawien und Rumänien zu beschaffen, blieben erfolglos; vage Zusagen für 200 französische und 100 finnische Transitvisa wurden einer Delegation der International Federation of Trade Unions gegeben, die die Initiative unterstützte. Noch im Oktober erteilte die britische Regierung 250 Einreisevisa für sudetendeutsche Sozialdemokraten; ausschlaggebend dürfte dabei auch gewesen sein, dass die Aufenthaltskosten dieser Emigranten von karitativen und sozialen Einrichtungen der Labour Party und des Trade Union Congress übernommen wurden. Die Emigration nach Großbritannien verlief aber weiterhin äußerst schleppend.

Eine besondere Rolle spielte dabei Doreen Warriner (1904 - 1972). Sie arbeitete beim britischen Flüchtlingskomitee der Tschechoslowakei (BCRC). Zusammen mit dem britischen Humanisten Nicholas Winton organisierte sie die Evakuierung jüdischer Kinder. Ihre aktive Rolle bei der Rettung von Flüchtlingen alarmierte jedoch die Gestapo und sie musste Prag am 22. April 1939 verlassen.

Schweden erklärte sich bereit einen Teil der sudetendeutschen Flüchtlinge aufzunehmen, dies lag vor allem in deren sozialdemokratischer Herkunft begründet und der Hoffnung, mit der Aufnahme die sicherheitspolitische Lage Europas zu stabilisieren. Die sudetendeutschen Flüchtlinge trafen in von der DSAP organisierten Sammeltransporten in Schweden ein; etwa 60% der Flüchtlinge waren Familien mit Kindern, ca. 25% kinderlose Ehepaare und etwa 16% ledige Personen.

Vor allem Spitzenfunktionäre der sudetendeutschen Sozialdemokratie wie Ernst Paul, Siegfried Taub und Carl Heller, die ebenfalls nach Schweden emigriert waren, hielten die Verbindung zu anderen Emigrantengruppen aufrecht. Niederlassungen gab es in Stockholm und Eskilstuna. Am 14. April 1940 wurde in Malmö die Treuegemeinschaft sudetendeutscher Sozialdemokraten für Schweden gegründet. Vorsitzender wurde Ernst Paul. Damit entstand neben den Sozialdemokraten um Wenzel Jaksch in London ein zweites Zentrum der sudetendeutschen Emigration.

Auch die sudetendeutschen Flüchtlinge, die zunächst von Norwegen und Dänemark aufgenommen worden waren, konnten nach dem Einmarsch der Deutschen größtenteils nach Schweden flüchten. Sie wurden in die bestehenden sudetendeutschen Gruppen integriert.

Etwa ein Drittel der 3000 Flüchtlinge, 1053 Männer, Frauen und Kinder, wanderte im Sommer des Jahres 1939 von Großbritannien aus weiter nach Kanada, wo ihnen die Siedlungsgesellschaften der beiden großen kanadischen Eisenbahnen CPR und CNR in der Gegend von Tupper im nordöstlichen Teil der Provinz Britisch Kolumbien sowie in der Nähe von St. Walburg im nördlichen Bereich von Saskatchewan unbebautes Land zur landwirtschaftlichen Nutzung zur Verfügung stellten. Vor ihnen lagen schwierige Anfangsjahre, zahlreiche sudetendeutsche Flüchtlinge — unter ihnen waren nur wenige Landwirte — gaben bald die unwirtschaftlichen Farmen auf und wanderten in die Industriestädte des kanadischen Südostens ab. In diesem Zusammenhang wurden Karl Wolfgang Deutsch (1912-1992) und Emil Kutscha (1895-1977) genannt. Letzterer schreibt auch eine der Erfolgsstorys der Emigration nach Kanada: Die offizielle Eröffnung des Seniorenzentrums Heidehofs am 26. Mai 1972 in St. Catharines, Ontario markierte das Ende einer siebenjährigen Entwicklung zur Verwirklichung einer Idee. Am 8. August 1965 kam der sudetendeutsche Sozialdemokrat Emil Kutscha, der erste Präsident der Organisation, auf die Idee eines deutsch-kanadischen Altersheims, das bis heute erfolgreich arbeitet (www.heidehof.com).

 

In den Treuegemeinschaften der Exilländer haben die sudetendeutschen Sozialdemokraten von Anfang an die Hoffnung nicht aufgegeben, nach der Vernichtung des Dritten Reiches wieder in demokratischen Parteien und Vereinigungen für die seit ihrer Jugend erstrebten und erkämpften sozialdemokratischen Ziele wirken zu können und das nicht in einem fremden Land, sondern in der angestammten Heimat. Aber die Realitäten nach dem Kriege waren andere!

 

1938-2018: 80 Jahre Flucht und Emigration I

1938-2018: 80 Jahre Flucht und Emigration III  -  „Starke Erlebnisse“

 

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