Frühjahrsseminar 2018 in Bad Alexandersbad

Veröffentlicht am 06.05.2018 in

Präsentierten beim Frühjahrsseminar der Seliger-Gemeinde den Film FC Roma und prangerten bei der anschließenden Diskussion den alltäglichen Rassismus in Tschechien an: Dr.Thomas Oellermann (li.) und Regisseur Tomás Bojar (re.)

 

„Wir sind keine Rassisten, wir mögen nur keine Zigeuner“

Diskussion zum Dokumentarfilm FC Roma mit Regisseur Tomás Bojar beim Frühjahrsseminar 2018

Zum Ende des zweiten Seminartages zeigte Dr. Thomas Oellermann den Dokumentarfilm "FC Roma", eine Produktion von HBO Europe, von Tomáš Bojar und Rozálie Kohoutová. Die Regisseure haben einen Dokumentarfilm über den Verein gedreht, der auf dem Spielfeld gegen Diskriminierung kämpft. „Das Verhältnis zwischen Roma und der Mehrheitsgesellschaft ist im nordböhmischen Děčín deutlich „schärfer“ als im Großteil der Republik“, so Tomáš Bojar. Der Film, der 2016 im Dokumentarfilmwettbewerb vorgestellt wurde, versucht auf eine ungezwungene, humorvolle Art eine Antwort auf die Frage zu finden, warum auch die Roma ihrerseits Vietnamesen und Muslime ablehnen. In der anschließenden Diskussion mit Regisseur Tomáš Bojar ging es um die Entstehung des Films sowie den alltäglichen Rassismus in der Tschechischen Republik.

 

Zum Film: Im Jahr 2014 wollten einige Vereine nicht mehr mit dem Klub FC Roma aus Děčín, einer Stadt im tschechischen Norden nahe der deutschen Grenze, Fußball spielen. Der Auslöser des Boykotts liegt mehr als drei Jahre zurück: Kurz vor Ende des Spiels zwischen dem Roma-Verein FK Děčín und Lok Děčín kommt es zu einer Schlägerei. Die Partie wird abgebrochen. Die Mannschaft bekommt eine hohe Strafe aufgebrummt, die den FK Děčín in die Knie zwingt. Ein fast 50 Jahre währendes Kapitel des Roma-Fußballs in Děčín geht unrühmlich zu Ende. Um drei Jahre später den Roma-Klub wiederzugründen, kommt Trainer Pavel Horvath aus Manchester zurück. Immerhin ist er der Neffe von Ladislav Horvath, der 1962 den FK Roma Děčín gegründet hatte. "Roma-Fußball gibt es in Děčín schon, seit ich denken kann", so Horvath im Film. Dass Roma Junior Děčín seinen Ruf nicht loswird, liegt vor allem an Patrik Herak, der als Einziger aus dem alten Team dabei ist: Herak war damals maßgeblich an der Schlägerei beteiligt, lehnt Gewalt nun strikt ab.

 

Die Ansprache des Trainers und zugleich Klubgründers hat seit Wochen nur ein Thema: den Boykott gegen sein Team. "Wenn ich jemanden nicht mag, will ich ihn schlagen", sagt Trainer Pavel Horváth. Die anderen Teams sehen das anders und die Mehrheit von ihnen boykottiert das Roma-Team. Von bisher acht Begegnungen in der untersten Spielklasse hat der neu gegründete Klub gerade einmal drei gespielt. Der Rest wurde von den gegnerischen Teams abgesagt, wegen Sicherheitsbedenken, wie es jedes Mal hieß. Die Spieler von Junior Děčín wären aggressiv und hätten ihre Fans nicht im Griff. Dies ist der Beginn einer ungewöhnlichen Saison für den FC Roma. Manchmal wird das Spiel gespielt, manchmal nicht. Nichts ist im Voraus sicher. Tritt ein Verein nicht an, wird das Spiel mit 0:3 als verloren gewertet. Doch weder das, noch die Strafen konnten die Klubs vom Boykott abhalten.

 

Die Spieler des FC Roma verlieren jedoch nie ihren Sinn für Humor und setzen ihren Kampf sowohl auf dem Platz als auch außerhalb fort. Manchmal ist es schwerer, als sie es sich vorstellten. Es lag an Trainer und den Teamkameraden, jeden davon zu überzeugen, dass sie keine Bande von Rüpeln sind, die am Rande der Gesellschaft leben, sondern begeisterte und talentierte Fußballer. Roma spielen nicht nur in ihren eigenen Klubs. Im tschechischen Spitzenfußball sind Roma-Fußballer aber eher selten, und nicht immer bekennen sie sich offen zu ihrer Herkunft. Anspielungen oder Beleidigungen sind immer wieder zu hören.

 

„Die Tatsache, dass sich die Mannschaften geweigert haben, ein Spiel zu spielen, spiegelt meines Erachtens durchaus den tschechischen Rassismus wider, der subtil und bescheiden ist und hinter Phrasen wie "Zigeuner stört mich nicht, aber ..." verbirgt“, so Tomáš Bojar in der anschließenden Diskussion.

Schwierige Verhältnisse in Děčín und der Tschechischen Republik


Mit rund 3000 Menschen wohnen in Děčín überdurchschnittlich viele Angehörige der Roma-Minderheit. Schätzungen des Sozialministeriums zufolge liegt in Tschechien die Arbeitslosenrate unter den ca. 300.000 Roma bei 39 Prozent. In Děčín dürfte sie noch höher ausfallen, da es hier für alle wenig Arbeit gibt. "Da ist ein eigener Fußballklub extrem wichtig", sagt Trainer Pavel Horvath im Film. "Hier können unsere Leute zeigen, was sie drauf haben, wenn sie sich schon woanders nicht durchsetzen können."

 

 

Der Rassismus macht sich immer wieder auf Straßen und Plätzen tschechischer Kleinstädte vor allem im Grenzgebiet Luft. Nur ein massives Polizeiaufgebot sorgt dafür, dass solche »Protestmärsche« nicht in einem Pogrom enden. Bei antiziganistischen Aufmärschen in acht tschechischen Städten kam es immer wieder zu Ausschreitungen als mehrere hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmer versuchten, gewaltsam gegen die Roma-Minderheit in den Städten. Treibende Kraft waren verschiedene Nazigruppierung (Čeští lvi - Tschechischen Löwen, „Svobodný odpor“ - Freier Widerstand oder die tschechischen Nazipartei DSSS -Dělnická strana sociální spravedlnosti) In allen betroffenen Städten beteiligten sich neben Nazis auch Teile der tschechischen Normalbevölkerung an den Protesten.

 

 

Selbst der tschechische Inlandsgeheimdienst BIS hat angesichts der Spannungen zwischen der Mehrheitsgesellschaft und der etwa 300.000 Menschen zählenden Roma-Minderheit ( 3 Prozent  der EW )die „Normalbevölkerung“ als größtes Sicherheitsrisiko bezeichnet. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2013 beschreiben 69% der Tschechen ihr Verhältnis zu Roma als negativ. „Die Roma-Community ist unbeliebt, gilt als gefährlich und hat den Ruf, nur die Hand aufzuhalten“, bestätigt Bojar.

 

 

Viele Tschechen pflegen ihre Vorurteile, viele meinen, dass sie vom Staat gegenüber den Sinti und Roma „benachteiligt“ werden. Hier ist zu bemerken, dass das Einkommen in Tschechien generell niedriger ist, ebenso der Lebensstandard auch. Die Kaufkraft ist nach dem EU-Beitritt zurückgegangen. Doch eine Verbesserung der Gehälter zeichnet sich in Zukunft ab z.B. laut dem Vergütungsreport 2016 sind die Gehälter in Tschechien im Vergleich zum Vorjahr um 3,2 Prozent gewachsen.

 

Leider ist es auch eine Tatsache, dass sich Tschechien inzwischen auf dem Weg zu einen absolut nationalistischen und fremdenfeindlichen Staat befindet. Äußerungen von Politikern sowie Stammtischparolen in tschechischen Lokalen nähren diese Ansicht. „Rassismus ist ein echtes Problem in der Tschechischen Republik", sagt Tomáš Bojar. „Auch wenn er manchmal unterschwellig auftritt, kann er sehr gefährlich sein. Die meisten Leute sagen: ‚Wir sind keine Rassisten, wir mögen nur keine Zigeuner.' Sie sagen, dass sie nicht in ihrer Nähe wohnen wollen oder nicht möchten, dass ihre Kinder mit ihnen auf eine Schule gehen... Häufig wissen sie nicht einmal warum."

 

 

Nicht verschwiegen werden darf in diesem Zusammenhang, dass rund 70 Prozent der Roma-Kinder grundlos in Sonderschulen für Lernbehinderte gesteckt werden. Dieser Hilfsschulabschluss ist wertlos und den Kindern ist somit die »Sozialhilfe-Karriere« ihrer Eltern vorgezeichnet. Dazu kommt eine gezielte Vertreibung von Roma-Familien an die sozialen Ränder der Städte und des Landes. Die strikte Trennlinie zwischen Roma und Nicht-Roma wird im Film immer wieder deutlich - und gilt nicht nur auf dem Fußballplatz. In einer Szene verweigert der Barkeeper einer Gruppe von Roma-Spielern Getränke, weil sie über keine „Clubkarte" verfügen. Trotz der Tatsache, dass andere Gäste bedient werden - Nicht-Roma, versteht sich - , die auch keine solche Karte haben.

 

 

Beim Film­festival in Karlovy Vary feierte die Dokumentation 2016 Premiere. Der Fanklub der Bohemians Prag verhindert daraufhin die Premiere des Films im Ďolíček-Stadion der Bohemians Prag 1905, die Sicherheit der Besucher konnte nicht gewährleistet werden. Es gab im Vorfeld Drohungen und Einschüchterungen gegen den Verein bzw. die Filmvorführung. Die Premiere im Stadion von Děčín  ist ohne Probleme verlaufen. Und auch in Prag konnte sie schließlich doch noch stattfinden – allerdings in wesentlich kleinerem Rahmen im Kulturzentrum „Contain­all“ auf der Kleinseite.

 

Zur Diskussion:

In der anschließenden Diskussion mit den Seminarteilnehmern erklärte Tomáš Bojar, dass das Roma-Team von Anfang an alles getan habe, um den anderen teilnehmenden Teams zu beweisen, dass sie "normal" und "anpassungsfähig" seien. „Das ist es, was mir insgesamt am besten gefällt. Nach dem Jahr, in dem wir den Film mit dem FC Roma drehten, wirken diese Fußballer als ganz typische Tschechen, die gerne Bier trinken, versuchen, die besten Preise in Supermärkten zu finden und Eishockeyspiele ansehen“, so der Regisseur. Im Laufe der Dreharbeiten bildeten  sich Freundschaften zwischen den Protagonisten, ihren Familien und dem Filmteam. „Nach ein paar Wochen war uns klar, dass Patrik und Pavel nicht nur interessante Menschen sind, sondern auch sehr interessante Protagonisten für einen Film - vor allem wegen ihres ungewöhnlich natürlichen Verhaltens. Děčín wurde im Laufe des nächsten Jahres ein wichtiger Teil unseres Lebens (und unserer Crew) und ich denke, dass keiner von uns es für eine Sekunde bereut hat“, beschreibt Bojar die Motivation zum Film. „Den Alltag eines Fußballclubs und das tägliche Leben im dreckigen, wilden Norden erfahren“.

 

Ziel des Films, so der Regisseur, war es auch Rassismus als etwas Lächerliches darzustellen. Die Absurdität von Rassismus entlarvten einige Dialoge, so Bojar, der folgende Beispiele aufführte:

 

„Ich bin nicht rassistisch", quakt die Dorfbewohnerin trotzig in meine Richtung, während sie ihre Mannschaft nach vorne brüllt. „Aber Leute sollten einfach weiß sein." Ihre Freunde kichern, die umherstehenden Fans nicken zustimmend und einer der Spieler der gegnerischen Mannschaft setzt dem Ganzen noch die Rassismus-Krone auf. „Geht arbeiten, ihr verfickten Zigeuner", brüllt er, bevor er auch noch den letzten Funken von Menschlichkeit verliert: „Hitler sollte sich um euch kümmern!"

 

Der Film zeigt aber auch, dass die Roma indirekt auch zur Trennung beitragen. Während sich die Spieler des FC Roma Děčín vor dem Anpfiff gegenseitig heißmachen, brüllen sie—wie bei einem Schlachtgesang—Cikáni! Cikáni! („Zigeuner"). Und auch ihre Kommentare nach dem Spiel sind Zeugnis einer Wir-gegen-sie-Mentalität, erklärte Bojar weiter. Hinzu kommt die Fremdenfeindlichkeit der Roma gegenüber anderen Minderheiten, die die Dokumentation auch offenbarte. Eine Reflexion seitens der Roma gab es hierzu nicht.

 

„Wie sieht die Zukunft für den Roma-Klub aus?“, war eine der entscheidenden Fragen aus dem Publikum. Bojar berichtete, dass eine Auswahl von Diplomaten aus mehreren Ländern wie Schweden, den USA und Dänemark nach Děčín reiste, um den Ausgebooteten mit einem Freundschaftsspiel den Rücken zu stärken. Auch die Fußballmannschaft des Karlovy Vary Filmfestivals trat an, um den Dokumentarfilm zu fördern. „Heute hat sich die Situation geändert und das Team gewinnt nicht mehr nur durch Spielabsagen. Der Film hat dazu seinen Beitrag geleistet“, so Bojar. Zu den Spielen von Roma Junior kommen regelmäßig 200 bis 300 Zuschauer, deutlich mehr als in den anderen Kreisklassespielen.

 

 

Eine weitere hochbrisante Frage war, ob die die tschechische Bevölkerung jemals mehrheitlich ‚Nein zu Rassismus?' sagen könne? „Es ist schwierig", sagte Bojar. „Die Roma sind so eine Art Blitzableiter für die Unzufriedenheit der Menschen. Doch in letzter Zeit wurden sie in dieser Rolle von den Flüchtlingen im Land abgelöst. Im Moment haben viele Leute Bedenken gegenüber Migranten und Muslimen und es gibt viele, die unser Projekt nicht mögen, weil wir versuchen, den Hass gegenüber diesen Menschen anzusprechen.“ Mehr denn je fehle heute in Tschechien die Überzeugung, dass Roma und Migranten - auch tschechische Staatsbürger sind oder werden können. Das Fehlen einer mutigen gesellschaftlichen Elite, wie sie in Deutschland bisher den gröbsten Rassismus in seine Schranken weisen konnte, wurde einmütig für die populistischen Entgleisungen und die strikte Verweigerung einer europäischen Asylpolitik verantwortlich gemacht.

Das Regie-Team:

 

Tomáš Bojar machte seinen Abschluss in politischer Philosophie und Recht an der Karlsuniversität. Seit 2003 ist er als Filmemachen tätig, zunächst als Drehbuchautor, dann als Regisseur und auch als Produzent. Er wurde schonmehrfach für seine Dokumentarfilme ausgezeichnet.

 

Rozálie Kohoutová wurde 1985 in Prag geboren. Nachdem sie sich auf das Studium der Roma an der Karlsuniversität konzentriert hatte, wurde sie 2006 vom Dokumentarfilmprogramm der Film- und Fernsehakademie der Akademie der musischen Künste in Prag aufgenommen. Auch sie hat eine Reihe von tschechischen und internationalen Preisen erhalten.

 

Momentan arbeiten beide wieder zusammen an einem Film mit dem Arbeitstitel Marocký hokejový sen / Der marokkanische Hockeytraum.

 

 

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