Der Marsch ins Chaos - einer der bekanntesten Anti-Kriegs-Romane der in Zwischenkriegszeit für das ehemalige Österreich-Ungarn. Der Marsch ins Chaos zeigt die Schrecken des Krieges aus der Perspektive eines jungen Soldaten und ist steht Erich Maria Remarques ´Im Westen nichts Neues´ in seiner Bedeutung in nichts nach. Diese literarische Darstellung des Krieges hat natürlich den Nationalsozialisten nicht gefallen und deswegen war Josef Hofbauer ab 1933 in Deutschland verboten und seine Bücher wurden verbrannt. Die Nazis verachteten den realistischen Stil, den Autoren wie Remarque und auch Hofbauer nutzten, um die tagtäglichen Grausamkeiten und Sinnlosigkeiten des Krieges zu beschreiben. Ihrer Meinung nach war der Krieg eine Schmiede, in der Helden geformt wurden – kein Chaos aus Angst und Blut, in das sich Menschen verirrt hatten.
Der Wiener Sozialdemokrat Josef Hofbauer (1886-1948) veröffentlichte 1930 einen Roman über die österreichisch-ungarischen Truppen an der italienischen Front im 1. Weltkrieg. Seine eigenen Erfahrungen und Aufzeichnungen bildeten die Grundlage für sein Buch. Immer wieder schildert er den Krieg in seiner ganzen Grausamkeit und Menschenverachtung.
Dr. Thomas Oellermann: „Josef Hofbauer wurde 1886 in Wien geboren. Er kam dort schon in jungen Jahren mit der Arbeiterbewegung in Kontakt und engagierte sich dort. Im Jahr 1910 wurde er von Josef Seliger nach Teplitz in Böhmen geschickt. Er hatte ein journalistisch-schriftstellerisches Talent und sollte dort in der Redaktion der sozialdemokratischen Zeitung „Freiheit“ arbeiten. Unterbrochen wurde seine Tätigkeit bei der „Freiheit“ durch den Ersten Weltkrieg, an dem er als Soldat teilnahm. Seine Erfahrungen notierte er in einem Kriegstagebuch.“
Hofbauers Roman hebt sich deutlich von den Kriegsbücher anderer Autoren ab. Hofbauer berichtet nicht nur über die Schlachten und das Grauen dieses Krieges, sondern auch über die Besonderheiten des Vielvölkerstaates im Krieg: In diesem Buch in den Bergen ist der fein beobachtete Zerfall eines Vielvölkerstaates und damit der Untergang des Vielvölkerheeres in den vier Jahren des Krieges beschrieben. Die harmlosen Verwirrungen und kleinen Streitigkeiten zu Beginn, die sich immer weiter, bis zum Zerfall einer Armee, zum Zerfall eines ganzen Reiches steigern.
Nach der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien ziehen 1914 die Völker der Donaumonarchie in einen blutigen Krieg. Dabei gelten die österreichischen Deutschen als besonders loyal und patriotisch gegenüber dem Staat und den Habsburgern. Die Soldaten unterschiedlichster Herkunft streiten sich, wo sie doch gemeinsam für eine gemeinsame Heimat kämpfen sollen. Und wenn dieser Krieg am Ende die überlebenden Soldaten wieder entlässt, in die Heimat, für die sie gekämpft haben sollen, da wissen sie nicht einmal mehr, wie die jetzt heißt, wo sie beginnt, welche Fahne für sie weht – die deutsche oder die Tschechische, so zumindest die offene Frage der Deutschböhmen.
Der Held in Hofbauers Roman ist der Landsturmsoldat Dorniger. Im Zivilberuf ist er Buchhalter, geboren in Wien und in Anstellung in Komotau/Chomutov. Er ist Mitglied im deutschen nationalen Turnverein und zunächst enttäuscht, dass er nicht direkt zu Kriegsbeginn eingezogen wird. Später, als er die ersten Verwundeten nach Hause kommen sieht und in der dritten Nachmusterung nun doch noch einrücken muss, ist seine Begeisterung, und die vieler seiner Landsleute, bereits deutlich gedämpft. Der Leser folgt dem etwas biederen Landstürmer in einen grausamen Krieg, in den er anfangs als willenlose Puppe ins Chaos marschiert und mehrmals verletzt wird. Als er einmal Heimurlaub über Weihnachten bekommt, erkennt ihn sein Sohn nicht mehr wieder. Dorniger ist desillusioniert und will nichts mehr mit dem Krieg und dem nationalistischen Gerede seiner Kameraden aus dem Turnverein zu tun haben.
Dieser Krieg konnte von Österreich-Ungarn nicht gewonnen werden. Das Reich war schon zerfallen, noch ehe der Krieg begann. Der Krieg, der vielleicht überhaupt nur riskiert wurde, vom Kaiser und seinen Beratern, um den unabwendbaren Zerfall des Reiches noch etwas aufzuschieben. Ein Aufschub, der unendlich viele Menschenleben kostete.
Hofbauers Beschreibung des Stellungskrieges in den Alpen sucht seines Gleichen. Es geht einen schwierigen Aufstieg hinauf auf den „ San Michele“, wo Doringer in den Felsen einen italienischen Angriff erlebt: „Wildes, donnerndes Krachen, das den Steinboden erschüttert, reißt die Schlafenden auf, wirft sie in die Höhe. Schlag auf Schlag. Zischen und Heulen in den Lüften. Steine, große Blöcke und kleinere Stücke, Metalltrümmer, Erde stürzen polternd nieder. Feuer spritzt im Graben auf, sprüht nach allen Seiten – dunkle Springquellen wirbeln empor, sinken zusammen, sinken in neu aufbrennende Flammenstrahlen. Schlag auf Schlag – hundert krachende Schläge zu gleicher Zeit – ein gigantischer Hammer zertrümmert den Monte San Michele und die Gänge und Höhlen, die winzigen Menschlein in seinen Leib geritzt, zerstampft mit den Gräben die Menschlein, die sie in vielwochenlanger Arbeit gebaut.“ Der Autor schildert die weiteren Vorkommnisse der Schlacht sehr detailliert und lässt die Soldaten mit Ihren Nöten und Ängsten sprechen. Dabei benutzt er in allen Gesprächen die jeweiligen Mundart, so dass das babylonische Sprachengewirr in der k.u.k. Armee dem Leser deutlich wird.
Nach seinem Urlaub versucht Dorniger zunächst, in der Etappe in Graz zu bleiben, wo er den unbeschreiblichen Hunger der Zivilbevölkerung erlebt. Er wird dann aber schließlich doch wieder an die Front versetzt. Auf dem Weg dorthin erlebt er den wachsenden Ungehorsam der Soldaten und das Auseinanderbrechen des Vielvölkerstaats. Die Front erreicht das Bataillon am Ende gar nicht mehr, alles verliert sich in Auflösung, Front, wie auch Monarchie.
Schon im Angesicht des Untergangs werden neue Fronten errichtet, für ein neues Vaterland, eine neue Gerechtigkeit, Fronten für und gegen den Sozialismus – aber voller Hoffnung auf ein neues Leben. Die Deutsch-Nationalen in Böhmen sehen sich als die letzten Stützen der Monarchie und haben ihre eigenen Zukunftspläne. „Solche Treue verdient ihren Lohn“ - innere deutsche Amtssprache, engster Anschluss an Deutschland – nur Deutsche dürfen, weil alleine verlässlich, Zugang zu den höheren Staatsposten finden. Diesen extrem nationalistischen Standpunkt bekämpfen Sozialdemokraten wie Josef Hofbauer.
Dorniger kehrt zurück und ist auf einmal Bürger der neu entstandenen Tschechoslowakei. Dies ist eine deutliche Parallele zum Leben Josef Hofbauers, der nach dem Krieg ebenfalls Bürger des neuen Staates wird. Im Gegensatz zu Erich Maria Remarque zeigt Hofbauer am Ende seines Romans die Tragik dieser Kriegsgeneration: War Dorniger im Heimaturlaub damals noch ein verzweifelter und mutiger Gegner des Krieges und des deutschen Überlegenheitsgefühls, steht er nun im heimischen Komotau bei der Morgenrasur vor dem Spiegel und bewundert seine Narbe im Gesicht. Dabei verklärt sich seine Haltung zum Krieg und er träumt von einer „richtigen, guten deutschen Stadt“.
Nach dem Ersten Weltkrieg kehrte Hofbauer zunächst einmal nach Teplitz in die Redaktion der „Freiheit“ zurück. Mitte der 1920er Jahre wechselte er aber nach Prag und begann für die Tageszeitung „Sozialdemokrat“ zu schreiben. Er hat dann auch seinen kritischen Roman über den Krieg fertig gestellt und entfaltete eine große schriftstellerische Tätigkeit, er verfasste weit über 100 Gedichte, von denen leider nur ein kleiner Teil veröffentlicht wurde.
1934 schrieb er unter dem Titel Wien, Stadt der Lieder einen Zyklus mit – als Chorwerk eingerichteten Gedichten über die Helden und die Tragik der Wiener Freiheitskämpfer 1934. In einer Reihe von Gedichten wird das Wien der Arbeiter dem alten spießerischen Wien, wird deren seichter Sentimentalität die Freiheitsliebe der Arbeiter gegenübergestellt, werden die Februarkämpfe besungen, erklingt der unzerstörbare Glaube an die Wiedereroberung der Freiheit. Das erste dichterische Denkmal der Wiener Arbeiterkämpfe!
Im Jahr 1938 erschien Der große alte Mann. Ein Masaryk-Buch. Darin schreibt er aus Sicht der sozialdemokratischen Deutschen über den ersten Präsidenten der Tschechoslowakischen Republik, Tomáš G. Masaryk. Im selben Jahr musste Hofbauer, als Gegner der Nationalsozialisten, nach Schweden flüchten. Ihm drohte nicht nur als Sozialdemokrat, sondern auch als Schriftsteller die Verfolgung.
Die Familie Hofbauer hat den Nachlass ihres Großvaters dem Collegium Bohemicum übergeben und er steht dort der Forschung zur Verfügung. Dr. Thomas Oellermann: „Das übergebene Material ist für das Collegium Bohemicum natürlich von großem Interesse. Es bietet eine interessante Perspektive, die Perspektive eines Emigranten in Schweden auf die Ereignisse während des zweiten Weltkriegs und auf die Dinge, die sich in London zwischen Beneš und Jaksch abspielten. Darüber hinaus finden sich viele, bisher nicht veröffentlichte Manuskripte von Josef Hofbauer, wir überlegen bereits im Collegium Bohemicum mit welchen Projekten wir dem Nachlass und dem Werk von Josef Hofbauer gerecht werden können.“
Josef Hofbauers Buch Der Marsch ins Chaos ist nie in einer Neuauflage erschienen und nur noch in Einzelstücken in Antiquariaten zu bekommen. Das Buch soll nun im Projekt Bücherverbrennung von der Ernst und Gisela-Paul-Stiftung erneut herauszugeben werden. Unter den Arbeiterschriftstellern gab es ein Reihe talentierte Literaten. Sie sind häufig in Vergessenheit geraten, einige wurden von den Nazis verboten und verbrannt. Besonders diesen Werken widmet sich die Ernst und Gisela-Paul-Stiftung mit dem Projekt Bücherverbrennung.
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