Spurensuche im Böhmerwald 2021

Veröffentlicht am 01.11.2021 in Allgemein

Die Seliger-Gemeinde-Gruppe besuchte unter Leitung der beiden Heimatpfleger Roman Hajník (2.v.li., Vimperk) und Roman Kozák (li., Volary) auch den jüdischen Friedhof in Volary/Wallern mit dem Gedenkstein für die Opfer. 

 

Spurensuche der Seliger-Gemeinde in Volary/Wallern

Geschichte der Sudetendeutschen Sozialdemokraten weitgehend unbekannt – Parallele zu Niederbayern/Oberpfalz: KZ-Todesmarsch endet in Wallern

Letzte Station der Spurensuche 2021 der Seliger-Gemeinde Regionalgruppe Niederbayern/Oberpfalz war die Stadt Volary/Wallern. Neben der Stadtgeschichte war vor allem die Geschichte der DSAP in Wallern Thema der Exkursion. Natürlich gedachten die Teilnehmer mit dem Besuch des Friedhofs auch den Opfern des Todesmarsches zum Kriegsende 1945.

Nachdem auf dem Weg nach Wallern/Volary die Bunkeranlagen an der Säumerbrücke besichtigt wurden, begrüßten Bürgermeister Vít Pavlík und Museumsdirektor Jaroslav Pulkrábek am Sonntagvormittag die Exkursionsgruppe der Seliger-Gemeinde im Heimatmuseum der Stadt Volary/Wallern. Das Stadtmuseum Volary befindet sich unweit des Zentrums in zwei denkmalgeschützten Wallerer Häusern (Volarský dům). Das Museum ist Teil des KIC – Volary (Kultur- und Informationszentrum Volary). Für die Besucher gibt es neben zwei jährlichen Sonderausstellungen eine Dauerausstellung zu den Themen: Geschichte der Handelsstraße ´Goldener Steig´, Darstellung der Stadtgeschichte, Geschichte der Eisenbahn in der Stadt und dem Gedenken an den Todesmarsch des KZ-Außenlagers Helmbrechts sowie den Ereignissen vom 4. Mai 1945. Die Exkursionsgruppe kam in den Genuss der Sonderausstellung zum Thema ´Dorfpfarrer´ mit einer authentischen Darbietung beeindruckender Exponate.

Die Geschichte Wallerns ist eng mit der Handelsstraße ´Goldener Steig´ verbunden, auf der Salz aus dem bayerischen Passau über Waldkirchen und durch den Wald nach Prachatitz transportiert wurde. Dies war der wichtigste mittelalterliche Saumweg Süddeutschlands. 1359 wird Wallern zum ersten Mal urkundlich genannt und war eine der wichtigsten Raststationen am ´Goldenen Steig´. Zu dieser Zeit durchquerten jede Woche über tausend Frachtpferde Wallern.

Einmalige Volksarchitektur

Die Wallerer Häuser mit den typischen flachen Satteldächern stammen aus dem 18. Jahrhundert und sind in der ganzen Tschechischen Republik einmalig in Volary/Wallern zu finden. Seit alters her bauten die Roder und Ansiedler ihre Wohnstätten in Wallern aus Holz nach der in ihrer früheren bayerischen Heimat üblichen Bauweise. So typisch das Wallerer Holzhaus für das Ortsbild war, so typisch waren die vielen Heustadel in gleicher Blockbauweise für das weite Tal rund um das Städtchen.

Nach dem großen Brand von 1863 wurden im Zentrum rund um Kirche und Ringplatz ausschließlich Stein- bzw. Ziegelbauten ausgeführt. Das Gesicht der Stadt hat sich besonders nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stark verändert. Die angestammte Bevölkerung wurde vertrieben und die neuen Siedler fanden keinen Bezug zu der ungewöhnlichen Fachwerkarchitektur. Ein Großteil der Häuser blieb unbewohnt und verfiel über die Jahre. In den 1950er Jahren wurden ganze Häuser für 50 Kronen als Winterbrennstoff verkauft! Leider sind von den seit 1995 denkmalgeschützten Blockhäusern und Blockhauszeilen nur ein paar Häuser übriggeblieben. Diese werden aber heute liebevoll erhalten, wovon sich die Exkursionsgruppe bei einem Stadtspaziergang überzeugen konnte.

Holzfachschule gegen Abwanderung

Als in den Jahren 1870 – 1880 die damalige österreichische Monarchie von einer Wirtschaftskrise heimgesucht wurde, waren es vor allem die Randgebiete von Böhmen, die schwer betroffen wurden. Viele Menschen verloren die Heimat und wanderten aus. Diese Not gab der damaligen Regierung in Wien Anlass etwas zu unternehmen, um die Menschen durch Bindung an ein Gewerbe sesshaft zu machen. Gewerbliche Schulen wurden errichtet, die die heranwachsende Jugend zu hochwertigen Handwerkern erziehen sollten.

Nach Errichtung einer Staatlichen Fachschule für Holzbearbeitung im Jahre 1873 hat das Holzgewerbe einen gewaltigen Aufschwung genommen. 1904 wurde ein neues zweckentsprechendes Fachschulgebäude erbaut. Die spätere Bezeichnung war:  Staatliche Fachschule und Meisterschule für Holzbearbeitung in Wallern. 1932 zählte man in Wallern nicht weniger als 102 holzverarbeitende Betriebe, darunter allein 40 Tischlereien, die ihre Möbel in viele Länder ausführten.

Spuren der DSAP in Wallern

Von der einst mächtigen Bezirksorganisation der DSAP sowie dem weithin bekannten Spar- und Konsumverein ist heute in Wallern nichts bekannt. Bürgermeister Vít Pavlík und Museumsdirektor Jaroslav Pulkrábek versicherten aber bis zum Sommer, wo die Ausstellung „Von der DSAP zur Seliger-Gemeinde“ im Kulturzentrum gezeigt werden soll, diese Geschichte aufzuarbeiten. So interessiert die Seliger-Gemeinde nicht nur die großen 1. Mai-Feiern, die Lage der Konsumverkaufsstelle oder das ehemalige Gasthaus Lichtenecker, wo die großen Bezirksversammlungen abgehalten wurden, sondern auch die Gründung der DSAP und deren Mitglieder in Wallern.

Weiterhin erhofft sich die Seliger-Regionalgruppe Niederbayern/Oberpfalz Hinweise auf das Schutzbundlager, in dem im März 1934 „eine größere Zahl von Marxisten, die aus Österreich geflohen sind, aufgenommen wurden. Die Flüchtlinge aus Österreich wurden, nach kurzer Verhaftung, in Auffanglagern untergebracht. Es waren aktive Schutzbündler, die an den bewaffneten Kämpfen teilgenommen hatten, besonders gefährdete Parteimitglieder und Gewerkschafter, sowie Kommunisten, die im Zusammenhang mit der illegalen Tätigkeit in Österreich von einer Verhaftung unmittelbar bedroht waren. Die Kosten für Unterbringung und Verpflegung der in den Lagern der Tschechoslowakei untergebrachten 1500-2000 Schutzbündler wurden zum größten Teil von der Deutschen Sozialdemokratischen Partei des Landes getragen.

Schicksalsjahr 1938

Die sogenannte „Sudetenkrise“ 1938 war auch in Wallern deutlich zu spüren. Nach dem Anschluss des Sudetenlandes kamen aus dem Bezirk Wallern 46 Personen in Konzentrationslager und 65 weitere Personen wurden durch Gestapo und Polizei verfolgt. Auch hierzu erhofft sich die Seliger-Gemeinde neue Hinweise.

Die Industrie in Wallern konnte sich nach dem Anschluss und dem Kriegseintritt gut behaupten. Im Juni 1939 berichtete der Regierungspräsident Niederbayern/Oberpfalz nach München: „Von den Fabriken hier ist lediglich die Südböhm. Holzindustrie Wallern und Hofa Wallern (Anm.: Holzwarenfabriks-Kommanditgesellschaft Schraml, Friedl, Mauritz & Schilhansl) sowie die Quarzlampenfabrik Wallern voll beschäftigt. Im November 1939 berichtete der Regierungspräsident dass „eine Reihe von größeren Betrieben, so die Südböhmische Möbelindustrie Wallern und die Metallwarenfabrik Knäbel u. Co. – Wallern nicht voll ausgenutzt sind“. Und am 8. November 1939 hieß es: „In Wallern soll die dortige Quarzlampenfabrik am 30. November 1939 ihren Betrieb einstellen müssen, weil Ultraviolettstrahler, außer für Wehrmacht und Export, nicht mehr erzeugt werden sollen und die beschränkte Herstellung von dem Mutterwerk in Hanau allein bewältigt werden kann. Die Stilllegung dieser Fabrik wäre für die Stadt Wallern von großem wirtschaftlichem Nachteil und würde auch stimmungsmäßig sehr ungünstig wirken. Es wird daher versucht, die Stilllegung durch Umstellung der Erzeugung oder durch Erlangung von Heeresaufträgen, zu der um Unterstützung gebeten wird, zu vermeiden“. Die für Ende Dezember vorgesehene Stilllegung der Quarzlampenfabrik GmbH in Wallern konnte vorerst abgewendet werden. Weiter sollten Wehrmachtsaufträge an das Werk in Wallern abgetreten werden.  

Besonders die Fahrradkettenfabrik Knäbel in Wallern hat weitreichende Aufträge bekommen und sollte in Bälde die für eine Neu-Produktion vorgesehene Betriebserweiterung vornehmen können, da die erforderlichen Maschinen im Wesentlichen beschafft sind und auch die Raumfrage in Kürze gelöst sein wird. Die Umsiedlung nach Franzensthal folgte. 1940 wurde in Wallern ein Kriegsgefangenenlager eingerichtet.

Doch auch in Wallern wurden die vor dem Anschluss versprochenen Investitionen zurückgehalten: So heißt es in einem Bericht Ende 1939: „Von vereinzelten Instandsetzungsarbeiten abgesehen, hat bisher eine Bautätigkeit, namentlich eine öffentliche, nicht eingesetzt. Dies hat hauptsächlich darin seinen Grund, dass bisher zwar alle Maßnahmen eingereicht, jedoch Gelder noch nicht zur Verfügung gestellt und Richtlinien noch nicht erlassen wurden. So wurden für die Städte Prachatitz, Wallern und Winterberg Projekte für Volkswohnbauten bei der Regierung in Regensburg eingereicht, diese jedoch aus obigen Gründen noch zurückgestellt. Ebenso wurden für Landarbeitersiedlungen, für welche hier großer Bedarf und Interesse ist, Vorbereitungen getroffen. Es konnte jedoch aus den dargelegten Gründen bisher nichts vorwärts gehen“. Obwohl die Wohnungsnot den verantwortlichen bekannt war: „Katastrophal ist auch das Wohnungselend u.a. in Wallern. Es ist keine Seltenheit, dass drei Familien in einem Raum wohnen. Es gibt Wohnungen, wo abends in der Wohnstube auf dem Boden die Strohsäcke aneinandergereiht und auch die Sitzbänke mit solchen belegt werden müssen, damit alle Familienangehörigen Schlafgelegenheiten haben. Tagsüber werden dann im gleichen Raum die hauswirtschaftlichen Arbeiten verrichtet. Kinder liegen zu 3 und 4 in einem Bett. Vielfach hat man die Einzimmerwohnung, teilweise auch Wohnungen mit einer größeren Wohnstube und einer kleinen Kammer; die Wohnstube gehört der jungen Generation was mit sozialen und gesundheitlichen Schäden verbunden ist. Viele Beamte wohnen immer noch in Untermiete; viele kinderreiche Familien haben nur einen einzigen Wohnraum.“

Der Todesmarsch

Nach dem Mittagessen übernahm Heimatforscher Roman Kozák die Gruppe und führte sie zum jüdischen Friedhof in Volary/Wallern. Wie durch viele niederbayerischen und oberpfälzischen Gemeinden führte Ende April/Anfang Mai auch durch den Böhmerwald ein Todesmarsch evakuierter KZ-Häftlinge.

Am 13. April, zwei Tage vor der Ankunft der US-Armee im Laber Helmbrechts, einer Filiale des KZ Flossenbürg, wurden etwa 1200 weibliche Gefangene auf einen 310 km langen Marsch entlang des Böhmerwaldes gezwungen. Insbesondere 600 jüdische Frauen hatten bereits einen Evakuierungsmarsch von rund 400 km aus dem Lager Grünberg hinter sich.

Die Route ging über Franzensbad, Zwodau, Falkenau a.d.Eger, Marienbad, Bruck am Hammer, Taus, Neuern, Hartmanitz, Kvilda und Leonorenhain nach Wallern. Am 4. Mai 1945 erreichte dieser Todesmarsch Wallern; ein Teil der jüdischen Frauen wurde noch weiter über Prachatitz in Richtung Hussinetz getrieben, wo der Todesmarsch am 6. Mai nach der Flucht der Bewacher endete. 17 Opfer des Todesmarsches wurden in einem Massengrab bei Wallern verscharrt, weitere acht Frauen verstarben in dem in der Holzfachschule eingerichteten Militärlazarett. Nachdem die US-Army Wallern am 5. Mai 1945 kampflos eingenommen hatte, ließ sie die Leichen aus dem Massengrab exhumieren und zwang am 11. Mai 1945 die deutschsprachige Bevölkerung von Wallern, wie auch bei uns in vielen Orten Niederbayerns und der Oberpfalz, zum Vorbeimarsch an den Leichen. Weitere Opfer des Todesmarsches wurden bei Kvilda und weiteren Gemeinden im Umland exhumiert; insgesamt wurden auf einem jüdischen Friedhof neben dem Friedhof von Wallern 95 überwiegend jüdische Frauen beigesetzt.

 

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