Ausstellungseröffnung in Neu-Ulm

Veröffentlicht am 07.11.2019 in

Bei der Eröffnung der Ausstellung im festlich geschmückten Lesesaal der Stadt-Bibliothek Neu-Ulm: (v.li.) Organisator Erwin Franz, Bürgermeisterin Rosl Schäufele, Seliger-Geschäftsführerin Renate Slawik und Bundes-Ko-Vorsitzender Dr. Helmut Eikam

 

Als Böhmen noch bei Österreich war, vor 100 Jahr ...

Ausstellung der Seliger Gemeinde gibt Einblicke in 100 Jahre sudetendeutsche Sozialdemokratie

Neu-Ulm: Am vergangenen Montag wurde durch Seliger-Bundesvorsitzenden Dr. Helmut Eikam die Ausstellung „Von der DSAP zur Seliger Gemeinde“ in der Stadtbibliothek in Neu-Ulm eröffnet. Organisiert wurde die Ausstellung vom ehemaligen Stadtrat und Seliger-Mitglied Erwin Franz. Sie ist während der regulären Öffnungszeiten noch bis 1. Dezember zu sehen. Hildegard Botzenhart begleitete die Eröffnungsveranstaltung mit der Gitarre und „böhmischen“ Liedern

Als Böhmen noch bei Österreich war, vor 100 Jahr….“, so begann nicht nur das erste Musikstück, sondern auch die Geschichte der sudetendeutschen Sozialdemokratie. Bereits im Kaiserreich Österreich-Ungarn war Böhmen das industrielle Zentrum des Reiches und damit Hochburg der Sozialdemokratie. Nach dem Ersten Weltkrieg und der Gründung der Tschechoslowakei mussten sich die Sozialdemokraten in Deutsch-Böhmen als eigenständige Partei etablieren, um weiterhin ihren politischen Einfluss zu erhalten und auszubauen.

Erwin Franz erinnerte in seiner Begrüßung daran, dass nach dem Zweiten Weltkrieg Tausende Heimatvertriebene und Flüchtlinge in die Stadt Neu-Ulm kamen – u.a. seine Familie. „Die Geschichte dieser Menschen, deren Herkunft und ihren Weg in die neue Heimat dokumentierte die zur 150-Jahr-Feier gezeigte Ausstellung „Heimatvertriebene, Flüchtlinge, Spätaussiedler – angekommen in Neu-Ulm“ im Pfuhler Museumsstadel“, so Franz. Nun werde eine besondere Gruppe Sudetendeutscher mit einer Ausstellung gewürdigt: Die sudetendeutschen Sozialdemokraten.

Die Ausstellung, die seit gut zehn Jahren durch Deutschland und Tschechien zieht, dokumentiert auf 40 zweisprachigen Text- und Bildtafeln die Geschichte der sudetendeutschen Arbeiterbewegung. Wie der Festredner Dr. Helmut Eikam, Bundesvorsitzender der Seliger Gemeinde, darstellte, wurde der erste sozialdemokratische Ortsverein schon 1863 im deutsch-böhmischen Asch gegründet, im damals noch österreichischen Kaiserreich. Wenige Jahre später entstand in Prag eine eigene Partei der tschechischen Sozialdemokraten. Die Sozialdemokraten in den deutsch-böhmischen Industriestandorten erkämpften sich eine starke Position unter den deutschen Arbeitern. Der Umbruch nach dem Ersten Weltkrieg zwang sie zur Abspaltung von der österreichischen Mutterpartei. „Wir verlieren die Hälfte unserer Partei, und wie ich meine die bessere Hälfte“, so der österreichische Parteivorsitzende Friedrich Adler beim Gründungsparteitag der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakei (DSAP) in Teplitz Ende September 1919.

Die DSAP forderte anfangs den Anschluss an Deutsch-Österreich, musste aber bald erkennen, dass die Zusagen der Weltmächte und der Gedanke des Selbstbestimmungsrechts der Völker für die Verlierer des Krieges nicht Bestand hatten. Um die Lebensverhältnisse der Arbeiterklasse verbessern zu können, identifizierte sich die DSAP als „aktivistische Partei“ mit der demokratischen tschechoslowakischen Republik und beteiligte sich an mehreren Koalitionsregierungen, so Dr. Eikam in seinem Vortrag. Im Gegensatz dazu hat die Sudetendeutsche Partei (SdP) des Konrad Henlein immer als passivistische Partei den Staat abgelehnt und den Anschluss an Hitler Deutschland betrieben. So kam es dann auch 1938 nach dem Münchner Abkommen. Viele Sozialdemokraten, die vorher u.a. auch den deutschen Genossen den Weg ins Exil ebneten, mussten selber fliehen oder liefen Gefahr ins KZ zu kommen, viele starben. Krieg, Flucht und Vertreibung zeigten, wie falsch der Weg der SdP und der Mehrheit der Sudetendeutschen war.

Mit dem Münchner Abkommen endet die Geschichte der DSAP. Die weit über den Erdball versprengten und im Exil lebenden deutsch-böhmischen Sozialdemokraten schlossen sich zu einer Treuegemeinschaft zusammen. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand 1951 in Westdeutschland aus dem erneuten Zusammenschluss zahlreicher sudetendeutscher Sozialdemokraten die Seliger-Gemeinde, benannt nach dem ersten Vorsitzenden der 1919 in Teplitz gegründeten DSAP, Josef Seliger. Sie begleiteten die Ostpolitik Willy Brandts und forderten die Aufgabe revanchistischer Ziele der Vertriebenen. Wie richtig diese Forderungen waren, zeigte der Verlauf der Geschichte.

Allerdings gehen auch dieser aus Nachkriegsnöten hervorgegangenen Organisation die Mitglieder verloren. Wie Vorsitzender Eikam vortrug, hatten sich vor Jahrzehnten in Geislingen an der Steige noch 30 000 Anhänger zur Bundesversammlung eingefunden. Heute zählt die Gemeinde noch gut 700 Mitglieder weltweit. Zu ihnen zählt auch Erwin Franz, heute einziges Mitglied im Landkreis und daher Gast in der Memminger Seliger-Gemeinde.

Am Ende erklang vielstimmig der Schlager „Aus Böhmen kommt die Musik“, vorgetragen von Hildegard Botzenhart. Darin heißt es u.a. „Mitten in New York, in Rom und in Bern, auf Inseln, ganz fern, da hört man es gern. Plötzlich trägt der Wind dir Töne ins Ohr, das kommt dir böhmisch vor.“ Darunter sicherlich die vielen Stimmen sudetendeutscher Sozialdemokraten, die nach 1938 im weltweiten Exil eine neue Heimat fanden.

Die Ausstellung ist während der regulären Öffnungszeiten noch bis 1. Dezember in der Stadtbibliothek zu sehen. Aus Platzgründen wurde auf einen Teil der Schautafeln verzichtet, aber im Katalog für zehn Euro sind alle vierzig Tafel dargestellt.

 

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