Aus aktuellem Anlass

Veröffentlicht am 21.06.2019 in

Landesvorsitzender Bruno-Andreas Dengel

Der politische Mord ist nur die Spitze des Eisberges

Seliger Gemeinde Bayern fordert lückenlose Aufklärung und Zerschlagung rechtsextremer Netzwerke

Jetzt sind alle zutiefst bestürzt, weil der rechte Hass zu eskalieren scheint. Doch die nun erlebte Spitze, das Attentat auf Walter Lübcke, ist nur der bisherige Höhepunkt einer beängstigenden Entwicklung. Regierungsrat Lübcke, der sich für Flüchtlinge engagiert hatte,  wurde von Rechtsradikalen über Jahre bedroht und in der Nacht zum 2. Juni auf seiner Hausterrasse regelrecht hingerichtet.

Die CSU hat in der "Flüchtlingskrise“ dafür gesorgt, dass sich die Grenzen des Sagbaren im politischen Diskurs verschoben haben („bis zur letzten Patrone“, „Asyltourismus“…) – die Rechtsradikalen haben dies dann für sich genutzt. Die Folgen: Die Gewaltbereitschaft nimmt immer mehr zu. Rechter Terror häuft sich – bis hin zum politischen Mord.

Doch erst jetzt, weil ein CDU- Politiker in seinem eigenen Heim hingerichtet wird, nehmen viele die Bedrohung wahr. Für die Opfer des NSU, unschuldige Blumenverkäufer oder Dönerladenbetreiber, engagierten sich nur wenige. Der alltägliche Rassismus auf unseren Straßen, auch hier gab es Tote, wird einfach so hingenommen.

Das BKA registrierte rassistische Straftaten gegen Ausländer, Behinderte, Homosexuelle und Obdachlose nur zögerlich. Bis 2015 zählte das BKA 75 Todesopfer. Zivilgesellschaftliche Organisationen gehen von bis zu 196 Todesopfern rechtsextremer Gewalt seit 1990 aus und verweisen zudem auf mindestens zwölf Verdachtsfälle. Hinzu kommen 123 Sprengstoffanschläge, 2173 Brandanschläge, zwölf Entführungen und 174 bewaffnete Überfälle. Von 1949 bis 1990 wurden Opfer rechtsextremer Gewalt gar nicht einheitlich erfasst. Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke zeigt, dass der bisherige Kuschelkurs des Staates gegenüber Nazis auf keinen Fall Erfolg haben kann.

Nicht nur jetzt werden PolitikerInnen bedroht. Schon im Oktober 2015 stach der Rechtsextremist Frank S. in Köln der Politikerin Henriette Reker in den Hals. Auch sie hatte sich, sich wie Lübcke um Flüchtlinge kümmerte. Das galt auch für den Bürgermeister von Altena, Andreas Hollstein, der im November 2017 von einem Rassisten mit einem Messer verletzt wurde. 25.000 Privatpersonen und Institutionen stehen auf sogenannten Feindeslisten von Neonazis und Rechtsextremisten. Allein 1053 Personen und Einrichtungen aus Bayern wurden auf Listen der Rechtsterroristen vom NSU genannt.

Der Mord an Walter Lübcke und die nun bekannt werdenden Hintergründe zum Tatverdächtigen müssen alarmieren und aufrütteln. Wer allerdings jetzt von einer neuen Qualität rechter Gewalt spricht, ignoriert ihre bisherigen Opfer.

Seit dem schwersten Terrorakt der Nachkriegszeit, dem Oktoberfestattentat vom 26. September 1980, weigern sich die Ermittler konsequent von rechten Netzwerken und potenten Hintermännern auszugehen. Damals ermordete der Rechtsextremist Gundolf Köhler mit einer selbstgebauten Bombe zwölf Menschen. 213 Menschen wurden verletzt. Köhler war Anhänger der Wehrsportgruppe Hoffmann, der Anschlag wurde von Ermittlern dennoch als Tat eines Einzelnen gewertet. Fast ein Jahr nach dem Urteil im NSU-Prozess sind die Hintergründe der Morde immer noch nicht richtig aufgeklärt, die Akten für weiter 120 Jahre gesperrt. Obwohl sich der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke so nah an rechtsterroristischen Gruppen aufgehalten hat, dass sein Name sogar Thema im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss war, halten es die Ermittler nach dem jetzigen Stand der Ermittlungen für wenig wahrscheinlich, dass eine Terrorgruppe hinter ihm steht.

Der Rechtsterrorismus ist aber global aufgestellt, rechte Extremisten sind weltweit vernetzt, Ziel ist ein globales Publikum. Bei einem Terroranschlag auf zwei Moscheen in Christchurch am 15. März 2019 tötete der aus Australien stammende Rechtsterrorist Brenton Tarrant insgesamt 51 Menschen und verletzte weitere 50, einige davon schwer. Im Februar 2018 schoss ein Italiener in der Stadt Macerata auf sechs afrikanische Migranten. In Chemnitz wurden 2018 sieben Männer einer mutmaßlich rechtsterroristischen Gruppe Revolution Chemnitz verhaftet. Sie hätten den Sturz der Bundesregierung geplant und einen ersten Anschlag bereits für den 3. Oktober 2018 angestrebt. Im Juni 2017 raste ein Brite in London mit seinem Lieferwagen in eine Menschenmenge an der Finsbury-Park-Moschee und verletzte zehn Menschen. 2015 stürmte ein 21-jähriger Amerikaner in eine Kirche in Charleston und erschoss neun dunkelhäutige Amerikaner. Nicht zu vergessen die Bluttat des Norwegers Anders Behring Breivik, jenes Rechtsextremisten, der im Jahr 2011 ein Sommerlager der Jungsozialisten auf der Insel Utøya überfallen und dort 77 Menschen ermordet hatte.

Die im Zusammenhang mit dem Mord an Lübcke genannte Gruppe „Combat 18“ (C18) ist in mehreren Ländern aktiv und sieht sich als Kampftruppe Adolf Hitler. Gegründet wurde die Gruppe 1992 von Mitgliedern der britischen Nationalpartei als Saalschutz. Nach Angaben des Verfassungsschutzes gab es seit Anfang des letzten Jahrzehnts Hinweise auf vereinzelte lokale C18-Sektionen. Seit einigen Jahren erfolge ein kontinuierlicher Ausbau von festen C18-Strukturen.

Dass schnellstens und gründlich aufgeklärt werden muss, ist selbstverständlich. Aber das reicht nicht. Wir müssen alle genauer hinschauen und Stellung beziehen, damit ein Klima, dass Menschen glauben lässt, sie würden mit Billigung vieler anderer handeln, nicht mehr entsteht. Es wird Zeit laut zu werden gegen Rechtsextremismus, rechten Terror, aber auch gegen die so genannten Rechtspopulisten, die als Stichwortgeber fungieren, die in den sozialen Netzwerken hetzen.

Der Satz "wehret den Anfängen" stimmt leider nicht mehr, wir sind weit über die Anfänge hinaus.

Denn Ziel des politischen Attentats ist die Veränderung bzw. der Umsturz des bestehenden Staatswesens durch die gezielte Beseitigung von politischen Repräsentanten. Schon in den Anfangsjahren der Weimarer Republik waren politische Morde an der Tagesordnung, zahlreiche politische Morde wurden im Auftrag des Reichskanzlers Adolf Hitler verübt. In Bayern kamen  der Ministerpräsident Kurt Eisner (1919) und der USPD-Abgeordneten Karl Gareis  (1921) ums Leben, der SPD-Politiker Erhard Auer überlebte zwei Mordanschläge. Erst bei den Morden an Matthias Erzberger (1921) und Walther Rathenau (1922) sprach man von Terror und verstanden sie als gezielte Angriffe auf die bestehende politische Ordnung, weil erstmals bedeutende Repräsentanten der Weimarer Demokratie getötet worden waren, nachdem von rechten Kreisen regelrechte Hetzkampagnen gegen die Politiker vorausgegangen waren.

Besonders vor dem Münchner Abkommen 1938 und nach der Besatzung der Rest-Tschechoslowakei prägte bis 1945 der nationalsozialistische Terror den Umgang mit den sudetendeutschen Sozialdemokraten: Eines der bekanntesten Opfer war Herbert Löbe, Neffe des Reichstagspräsidenten Paul Löbe (SPD), der durch nationalsozialistische Attentate bedroht, 1937 auf ungeklärte Weise zu Tode kam.

Der Unterschied zu heute – und das muss auch so bleiben – ist die Zuverlässigkeit der Gerichte. Während die Volksgerichte der Weimarer Republik die politischen Linken mit hohen Strafen aburteilten, ließen sie gegenüber Straftätern mit nationalistischer Gesinnung Milde walten. Augenfällig wird dies am Beispiel des Prozesses gegen den Eisner-Mörder: Anton Graf von Arco-Valley wurde zwar am 16. Dezember 1920 zum Tode verurteilt, das Gericht hob jedoch sein edles Tatmotiv explizit hervor. Einen Tag nach dem Urteil wurde er zu Festungshaft begnadigt und bereits 1924 entlassen. Ähnliches ereignete sich ja auch nach dem Hitler-Putsch.

Sehr bedenklich sind die rechten Netzwerke zwischen Bundeswehrsoldaten, Polizisten und Verfassungsschützern, die nach Medienrecherchen nicht nur in Ostdeutschland weit verbreitet sind. Diese gilt es aufzudecken und zu zerschlagen.

Morddrohungen gegen Kommunalpolitiker sind infame Versuche der Einschüchterung. Unsere Demokratie lebt vom Einsatz der vielen mutigen kommunalen PolitikerInnen und Ehrenamtlichen. Sie brauchen unseren Respekt und unsere Unterstützung - immer und in diesen Tagen ganz besonders. Umso widerwärtiger die Hetze, desto entschiedener müssen wir alle den Rücken stärken, die sich vor Ort engagieren.

Wir fordern: Der Mord an Walter Lübcke muss lückenlos aufgeklärt, rechtsextreme Netzwerke müssen aufgedeckt und zerschlagen werden. Hasspropaganda, nicht nur im Internet, muss energischer entgegnet werden.

 

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