Spurensuche im Böhmerwald 2021

Veröffentlicht am 23.10.2021 in Allgemein

Die Teilnehmer der Exkursionsgruppe mit Roman Hajník vor der Rudolf-Kralik-Villa in Vimperk/Winterberg

 

Die Glasmachersiedlung ´Adolph´

Auf den Spuren der sudetendeutschen Sozialdemokraten in Winterberg

 

„Spaziergang durch das ´alte Winterberg´ hieß der Programmpunkt am Samstag-Vormittag. Nachdem sich bei der Spurensuche 2019 die Ortsbegehung vor allem um die Geschichte der Arbeiter in Steinbrener´s Buchdruckerei drehte, führte Heimatforscher Roman Hajník die Gäste aus Bayern 2021 um die alten Glasfabriken herum, wo die Glasmacher, Glasbläser und Glasschleifer arbeiteten und wohnten. Prägend hierbei war die Familie Kralik, die Ritter von Meyrswalden.

Neben den noch vorhandenen Gebäuden der alten Glasmachersiedlung ´Adolph´, den Resten der Glashütten, die Verwaltungs- und Glasmaler- und Glasschleifergebäuden sowie den Werkswohnungen der Glasarbeiter, beeindruckten vor allem die Villen der Glasbarone, insbesondere die Jugendstilvilla von Rudolf Kralik in der „Straße des 1. Mai“ in Vimperk. Das Gebäude wurde 1905 nach Entwurf des Akademikers Leopold Bauer gebaut. Der 1872 in Jägerndörf in Österreichisch-Schlesien geborene Architekt erhielt zu dieser Zeit seine ersten architektonischen Aufträge in nördlichen Provinzen der Habsburgermonarchie. Er bekannte sich als Architekt zunächst zu den Werten der Moderne und versuchte Hygiene, Komfort und Schönheit in seiner Architektur zu vereinen. Mit diesen Motiven, aber unter anderen Vorzeichen schuf er zahlreiche Bauten, Villen und Wohnbauten. Nach 1905 verließ Bauer allmählich seine modernistischen Gesichtspunkte, entfremdete sich der Wiener Avantgarde und suchte auch eine neue Klientel in aristokratischen oder großbürgerlichen Schichten.

Das Portal der auffälligen Jugendstilvilla ist mit dem Wappen des Winterberger Glasmachers Vilém Kralik, Ritters von Meyrswalden, und mit zwei Jugendstilsäulen mit Laternen geschmückt. Das 1877 anlässlich der Erhebung in den Ritterstand verliehene Wappen der Familie Kralik von Meyrswalden zeigt einen böhmischen Löwen, in der rechten Pranke eine Glasölphiole haltend, und oberhalb zwei Industriekammräder als Symbol für die böhmischen Glasfabriken des Wilhelm Kralik.

Der Jugendstil, dieser letzte komplexe Stil des alten Europas, das vom Wüten des Ersten Weltkriegs stark betroffen wurde, hinterließ am ehemaligen Stadtrand von Winterberg ein wertvolles Kleinod, das bis heute ein Park umgibt. Um den kleinen Hof herum stehen kleine Begleitbauten - Hausmeisterhaus, Pferdestall, Stallmeisterwohnung usw. Im repräsentativen Erdgeschoss des Hauptgebäudes war angeblich ein Wintergarten, im oberen Stockwerk befanden sich die Wohnräume. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde in der Villa ein Kindergarten eingerichtet, den es hier noch heute gibt.

Wintergberg – Franzensthal – Eleonorenhein - Frauenau

Die Geschichte der Glasmacherei und hier vor allem die Familie Kralik begleiteten die Exkursionsgruppe durch das Wochenende. Nach dem Tod des erfolgreichen Glashüttenmeisters Josef Meyr (1739-1829), Begründer der Glashütte Adolf/Adolfov, Winterberg/Vimperk, im Jahr 1829 übernahm sein Sohn Johann Meyr (1775-1841) von der Kaltenbach-Hütte (Nové Hutě, s. auch „Spurensuche in Franzensthal“) das Erbe. Beim Umzug in die Glashütte Adolf nahm er seinen 23-jährigen Patensohn Wilhelm Kralik (1806-1877) mit. Johann Meyr hatte den jungen Mann bestens ausbilden lassen. 1834 gründete Johann Meyr zudem die Glashütte Eleonorenhain/Lenora.

Wilhelm Kralik leitete sämtliche Geschäfte von Johann Meyr und heiratete eine seiner Nichten. Die Glasarbeiter von Eleonorenhain kamen aus dem Raum Zwiesel, Eisenstein, Südböhmen und Niederösterreich. Mit dem Tod von Johann Meyr im Jahr 1841 starb der letzte Namensträger. Die Meyr’schen Glashütten Adolf, Kaltenbach und Eleonorenhain erbten seine Neffen Wilhelm Kralik und Josef Taschek. Beide führten die Hütten unter dem Namen „Meyrs Neffen“ weiter. Unter Wilhelm Kralik und Josef Taschek (später Kraliks Schwiegersohn) wuchs Eleonorenhain um 1850 zu einer der größten Glashütten Böhmens heran. Die Unternehmer kauften zudem die Glashütten Ernstbrunn, Biertopfhütte/ Franzensthal, Idathal und Luisenhütte und hatten somit sieben Glashütten zu betreuen. Verwaltungsmittelpunkt blieb Eleonorenhain. Als Josef Taschek 1862 starb, führte Wilhelm Kralik die Hütten unter dem Namen „Meyrs Neffe“ alleine weiter.

Wilhelm Kralik hatte mit Gattin Anna Maria, geb. Pinhak, eine Nichte von Johann Meyr, 13 Kinder. Ein Jahr nach ihrem Tod 1850 heiratete Wilhelm Kralik die 19-jährige Wienerin Louise Lobmeyr, Tochter des Wiener Glashändlers Josef Lobmeyr, mit dem er schon länger in Geschäftsbeziehung stand.

Mit der Produktion nach Entwürfen von Lobmeyr erlangte Eleonorenhain Weltruhm. Wenige Tage vor seinem Tod, am 9. Mai 1877, wurde Wilhelm Kralik von Kaiser Franz Joseph I. in den österreichischen Ritterstand mit der vererbbaren Auszeichnung „Ritter von Meyrswalden“ erhoben. Den Namen „Meyrswalden“ hatte Wilhelm Kralik in Erinnerung an seinen Förderer Johann Meyr vom Kaiser erbeten. Nach Wilhelm Kraliks Tod übernahmen seine Söhne aus erster Ehe, Johann, Karl, Heinrich und Hugo die Geschäfte. Es waren unruhige Zeiten und es konnten nicht mehr alle Glashütten gehalten werden. Bis auf Eleonorenhain und Ernstbrunn wurden die anderen Glashütten von den Erben verkauft. Zuletzt führte Heinrich Kralik (1840-1911), Wilhelm Kraliks Sohn aus erster Ehe, die Hütten Eleonorenhain und Ernstbrunn unter dem Namen „Wilhelm Kralik Sohn“ alleine weiter.

Als Heinrich Kralik im Jahr 1911 starb, kamen die Glashütten an die dritte Generation, an seine Söhne Alfons und Siegfried Kralik Ritter von Meyrswalden. Mit Aufnahme des Vetters Matthias Kralik als Mitinhaber, von der Harrach’schen Glasfabrik, trat erneut ein Aufschwung in der Glashütte Eleonorenhain ein. Produziert wurden unter anderem hochwertige, geschliffene und gravierte Hohlgläser. Das „Barockglas“ von Eleonorenhain und kunstfertige Phantasievasen in verschiedenen Farben wurden weltweit bekannt.

Alfons Kralik Ritter von Meyrswalden wurde am 30.6.1885 in Eleonorenhain geboren. Ursprünglich wollte er Jurist werden und studierte in Prachatitz/Prachatice, Prag und Wien. Nachdem sein Bruder Gottlob in die Glashütte in Fürstenberg eingeheiratet hatte, änderte er seine Meinung und stieg in den elterlichen Betrieb in Eleonorenhain ein. 1931 beschäftigte
Eleonorenhain etwa 350 Arbeiter und 22 Beamte. 1946 wurde Alfons von Kralik als einer der ersten aus Eleonorenhain vertrieben.

Die ehemaligen böhmischen Glashüttenherrn und Brüder Alfons und Siegfried Ritter Kralik von Meyrswalden gehören noch heute zu den höchst geachteten Bürgern des Glashüttenorts Frauenau. Nach ihrer Vertreibung vor 70 Jahren aus Eleonorenhain/Lenora wirkten sie als Direktoren über 20 Jahre lang mit großem Erfolg in der Glashütte von Poschinger.

Die Villa kommt wieder in den Besitz der Familie Kralik

Im Jahr 1989 erhielt Kitty Müller von Kralik aus Winterberg/Vimperg einen behördlichen Brief mit der Mitteilung, dass die Kraliks noch immer eine Villa in Winterberg hätten, die dringend zu sanieren sei. Da der ursprüngliche Besitzer mit einer Österreicherin verheiratet war, bekamen die Kraliks nach der Grenzöffnung ihr Eigentum zurück, wenn auch in sehr schlechtem Zustand. Die Villa gehört heute einem der Söhne von Kitty Müller von Kralik.

Glashütten – Zentren der Arbeiterbewegung

Am Abend entführte Roman Hajník die Besucher mit einer Dia-Show mit alten Winterberger Ansichten in die Zeit der Glashütten. Durch die Hinweise beim vormittäglichen Spaziergang fanden sich die Zuhörer schnell auf den alten Ansichten zurecht. Mit dem ehemaligen Wirtshaus „Zur Fischerin“ und den im Jahr 1921 unter dem sozialdemokratischen Bürgermeister Wilhelm Fritsch erbauten Ein- und Zweifamilienhäuser (Nr. 213 – 219) in der ehemaligen unteren Prager Straße (Heute Straße des 1. Mai) gelang die Brücke zur sudetendeutschen Sozialdemokratie in Winterberg ein ums andere Mal.

Noch heute leicht wieder erkennbar: Die im Jahr 1921 von einer tschechischen Bau- und Wohngenossenschaft erbauten Ein- und Zweifamilienhäuser (Nr. 213-219) in der heutigen Straße des 1. Mai.

 

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