Frühjahrsseminar 2019 in Bad Alexandersbad

Veröffentlicht am 03.05.2019 in

České století: Poslední hurá (1989)

Die Samtene Revolution 1989 in der Tschechoslowakei

Seliger Gemeinde erinnert an den friedlichen Systemwechsel im Nachbarland

Das Frühjahrsseminar der Seliger Gemeinde vom 12. bis 14. April 2019 startete am Freitag mit der Vorführung des Films „Das letzte Hurra“, Teil der tschechoslowakischen Reihe „Das tschechische Jahrhundert“ zur Samtenen Revolution 1989. Der tschechische Film wurde von Dr. Thomas Oellermann mit deutschen Untertiteln versehen und beschreibt die Verhandlungen zwischen dem Bürgerforum unter Leitung von Václav Havel und der Regierung bis zu deren Rücktritt unter dem Druck der friedlichen Massendemonstrationen sowie einem Generalstreik. Im Nachhinein erhielten die Ereignisse von 1989 die Bezeichnung „Samtene Revolution“. Am Anfang stand jedoch die Gewalt. Ausgerechnet am Internationalen Tag der Studenten ging das kommunistische Regime mit Schlagstöcken gegen eine Studentendemonstration in der Prager Innenstadt vor. In den darauffolgenden Tagen und Wochen formierte sich in der Tschechoslowakei die Opposition.

Vorgeschichte

Ungarn hatte am 2. Mai 1989 begonnen, seinen Eisernen Vorhang an der Grenze zu Österreich zu entfernen. Im Sommer 1989 gestattete Ungarn die Ausreise vieler DDR-Bürger in die Bundesrepublik.

In Prag waren im Oktober 1989 bis zu 3500 DDR-Bürger auf das Gelände der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland gelangt; insgesamt 17.000 Menschen durften nach Verhandlungen in den Westen ausreisen. Am 9. November 1989 konnten Tschechen und Slowaken den Fall der Berliner Mauer mitverfolgen. In Polen amtierte damals schon eine Regierung mit einem Nichtkommunisten an der Spitze, nachdem am 4. Juni 1989 die erste halbwegs freie Parlamentswahl im Ostblock stattgefunden hatte. Am 12. November 1989 wurde in Bulgarien der seit 1954 amtierende KP-Chef gestürzt.

In den Jahren 1988 und 1989 fanden die ersten antikommunistischen Demonstrationen in der Tschechoslowakei statt. Dazu zählen eine Serie von Demonstrationen von 15. bis 20. Januar zum 20. Todestag von Jan Palach. Diese friedlichen Kundgebungen wurden von der Polizei brutal niedergeschlagen. 1400 Menschen wurden inhaftiert, darunter führende Oppositionelle. Vom 10. bis zum 14. November 1989 fanden Demonstrationen in Teplice statt.

Verlauf

Am 16. November 1989 fand in Bratislava eine Studentendemonstration statt. Die Polizei griff hier nicht ein und die Demonstranten konnten ungehindert durch die Stadt ziehen. Am Tag darauf, dem 17. November, fand in Prag anlässlich des 50. Jahrestags der Schließung der tschechischen Hochschulen 1939* eine genehmigte Studentendemonstration statt, an der laut Staatssicherheit 15.000 Menschen teilnahmen. Im Unterschied zu Bratislava begann die Polizei im Verlauf des Abends die Kundgebungen zu zerschlagen und etwa 600 Personen wurden von den Sicherheitskräften verletzt. Dass die Zahl der verletzten Demonstranten weitaus höher lag, erfuhr die Bevölkerung jedoch nur aus internationalen Medien und von den Augenzeugen. Ein Regime, das auf die eigenen Leute einschlägt – diese Nachricht führte in den nächsten Tagen zu einer Mobilisierung der Massen, die sich die tschechoslowakischen Oppositionellen schon lange wünschten. In den nächsten Tag riefen die Prager Studenten zu einem zeitlich unbegrenzten Studentenstreik auf; die Schauspieler der Prager Bühnen schlossen sich an. Diese Aktionen werden allgemein als Anfang der Revolution gesehen.

Am 18. November verbreiteten sich die Nachrichten vom brutalen Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Studenten, was weite Teile der Bevölkerung mobilisierte, an den Demonstrationen teilzunehmen. Sie forderten eine Untersuchung der Vorgänge und die Bestrafung der Verantwortlichen. Am Tag zwei nach der Studentendemo bündeln weitere Oppositionelle ihre Kräfte. Václav Havel hatte sich bewusst von den Studentenprotesten ferngehalten, um ihnen nicht die Schau zu stehlen. Erst am Sonntag nach dem „Massaker“, wie die Ereignisse vom 17. November nun genannt werden, kehrt er von seinem Landsitz in Hrádeček nach Prag zurück. In seinem Haus treffen sich unter anderem Alexandr Vondra, Jan Urban und Jiří Hájek. Noch am selben Abend proklamieren die Dissidenten im Činoherní klub die Gründung des „Bürgerforums“ (Občanské forum). Sie verlangen den Rücktritt der für die Gewaltausübung verantwortlichen Politiker Štěpán und Kincl wie auch die Freilassung der politischen Gefangenen. Am 19. November 1989 wurde als Sprachrohr der Streikenden in in der Slowakei die „Öffentlichkeit gegen Gewalt“ (Verejnosť proti násiliu, VPN) gegründet, um den Dialog mit den sozialistischen Machthabern zu suchen.

Ab 20. November griffen die Demonstrationen sukzessive auf das ganze Land über. Jeden Tag wurden nun in zahlreichen Städten Demonstrationen abgehalten. Der Großteil der Prager Hochschulen streikte. Der Vorsitzende der Föderalregierung, Ladislav Adamec, muss Verhandlungen mit dem Bürgerforum aufnehmen. Am 21. November verkündete Generalsekretär Miloš Jakeš im Fernsehen, dass die Regierung an ihrer kompromisslosen sozialistischen Linie festhalten werde. Während Jakeš ein letztes Mal den siegreichen Sozialismus beschwörte, hielt Václav Havel vom Balkon des Melantrich-Hauses auf dem Wenzelsplatz vor 200.000 Zuhörern zum ersten Mal eine öffentliche Rede. Er präsentierte die Forderungen des Bürgerforums und spielte rhetorisch mit der nationalen Symbolik des Landes, die auch eine demokratische ist: Wahrheit und Freiheit müssten siegen, so ergänzt Havel die Formel von Jan Hus, die Masaryk einst zum Wahlspruch der Tschechoslowakei erhoben hatte. Der Prager Erzbischof Kardinal František Tomášek rief zur Unterstützung der Revolution auf. Am 22. November traten zwei Symbolfiguren des Prager Frühlings, Alexander Dubček und Marta Kubišová nach 20 Jahren wieder an die Öffentlichkeit. In Prag, Bratislava und Brünn waren täglich tausende Menschen auf der Straße.

Am 24. November sprachen Václav Havel und Alexander Dubček am Wenzelsplatz zu den Demonstranten und forderten den Rücktritt des Politbüros der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei. Generalsekretär Jakeš verkündete am gleichen Tag seinen Rücktritt und den Rücktritt des Politbüros. Die Zahl der Demonstranten wird in Prag auf 800.000 und in Bratislava auf 100.000 geschätzt.

Am 27. November fand der angekündigte, landesweite zweistündige Generalstreik statt. Zwei Stunden lang steht das Land am 27. November still. Der Generalstreik trägt das Motto „Ein Ende der Einparteienregierung“. Über drei Viertel der Bevölkerung beteiligen sich. Innerhalb weniger Tage hat sich auch der Duktus der staatlichen Medien verwandelt. Rundfunk und Fernsehen übertragen den Streik live. Auch Studenten in Hochschulen und Universitäten schlossen sich diesem Streik in unterschiedlichen Umfang an.

Ende des Sozialismus

Nach dem Streik versucht die Staatsführung nochmals zu reagieren. Milouš Jakeš und Miroslav Štěpán werden der Öffentlichkeit als Verantwortliche für die gewalttätige Niederschlagung der Demonstrationen präsentiert und aus der Partei ausgeschlossen. Am 26. November begannen Verhandlungen zwischen dem Bürgerforum und der Regierung. Die Bestimmung über die führende Rolle der Kommunistischen Partei in der Verfassung wurde am 29. November aufgehoben.  Anfang Dezember verteidigt Präsident Husák eine neue Regierung. Doch das Volk akzeptiert den bloßen Austausch kommunistischer Politiker durch andere Parteikader nicht mehr. Am 10. Dezember ernannte Präsident Husák die zum ersten Mal seit 1948 mehrheitlich nichtkommunistische Regierung des nationalen Einverständnisses unter Marián Čalfa. Außenminister der neuen Regierung wurde der Bürgerrechtler Jiří Dienstbier, Finanzminister Václav Klaus. Nach Bestellung dieser Regierung reichte Husák am gleichen Tag seinen Rücktritt ein.

Schon ab 5. Dezember wurde der Stacheldraht an der Grenze zu Österreich entfernt, ab 11. Dezember wurden die Grenzbefestigungen zur Bundesrepublik Deutschland abgetragen.

Am 28. Dezember wurde Alexander Dubček zum Parlamentsvorsitzenden gewählt, am 29. Dezember 1989 folgte die Wahl Václav Havels zum Staatspräsidenten durch die kommunistischen Abgeordneten. Im Januar 1990 traten zahlreiche kommunistische Abgeordnete zurück, zu deren Nachfolgern meist frühere Oppositionelle gewählt wurden, so dass die Kommunisten auch im Parlament keine Mehrheit mehr hatten. Am 29. März wurde die demokratische Tschechoslowakische Föderative Republik ausgerufen. Im Juni 1990 fanden freie Parlamentswahlen statt.

Über den Sprung von der Dissidenz in die politische Verantwortung innerhalb kürzester Zeit äußert sich Havel noch in den Revolutionstagen: „Wie man sehr gut weiß, ist mein eigentlicher Beruf Schriftsteller. Aber in einem Land, in dem die politische Kultur ausgetrieben wurde, wird auf eine bestimmte Art und Weise alles zum Politikum. Wenn sich also dieser Schriftsteller bemüht, sein ganzes Leben lang die Wahrheit zu sagen, ohne Rücksicht darauf, ob das der Regierung gefällt oder nicht, dann wird aus ihm notwendigerweise ein politisches Phänomen, ohne dass er Politiker sein will.“

Vaclav Havel starb im Dezember 2011im Alter von 75 Jahren.

Das Phänomen der Novembertage 1989 ist als Samtene Revolution in die Geschichtsbücher eingegangen. Wenn die Tschechen und Slowaken heute, als nunmehr getrennte Nationen, auf die Ereignisse zurückblicken, erscheint es ihnen fast unglaublich: Die Tage des Umsturzes hatten kein einziges Todesopfer gefordert.

*1939 ließen die nationalsozialistischen Besatzungsbehörden über 1200 tschechische Studierende verhaften, neun von ihnen wurden erschossen. Zudem wurden die tschechischsprachigen Hochschulen im sogenannten „Protektorat Böhmen und Mähren“ geschlossen. Zuvor war es nach einem Trauerzug für einen getöteten Studenten zu Protesten gegen die deutschen Besatzer gekommen.

 

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