Herbstseminar 2023 mit Bundesversammlung

Veröffentlicht am 28.10.2023 in Allgemein

Im Gespräch mit Patrik Eichler (Mitte), Moderator Ulrich Miksch (li.) und Übersetzer Thomas Oellermann (re.)

 

“Sozialdemokratie in Tschechien: Herausforderungen und Chancen"

Patrik Eichler, Direktor der Demokratischen Masaryk-Akademie stellt sich den Fragen von Ulrich Miksch

In seiner Einführung erklärte Thomas Oellermann, der anschließend für Patrik Eichler dolmetschte, dass die Demokratischen Masaryk-Akademie (MDA) der Partner Nr. 1 sei, wenn es für die Seliger-Gemeinde darum geht, gemeinsame Aktionen in Tschechien zu organisieren. Patrik Eichler, der Dirketor der MDA sei deshalb kein Unbekannter für uns, ebeso wie sein Vorgänger Vladimír Špidla, der von 2001 bis 2004 Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei, von 2002 bis 2004 Ministerpräsident der Tschechischen Republik und von 2004 bis 2010 EU-Kommissar war. Anschließend wurde er Direktor der MDA und übergab den Posten nach 11 Jahen vor ca. Einem Jahr an Patrik Eichler.

Eichler ist Journalist und Kommentator, gibt die Zweimonatszeitschrift „Listy“ („Blätter“, www.listy.cz) heraus. In den Jahren 2007-2009 war er Redakteur der Zeitschrift Literarni noviny, in den Jahren 2009-2012 arbeitete er an der Ausstellung des Museums der deutschsprachigen Bewohner der böhmischen Länder in Ústí nad Labem. Er ist auch Mitautor der Anthologie und Ausstellung Jan Palach '69 (Prag 2009) und der Ausstellung „Für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. 135 Jahre Sozialdemokratie in den böhmischen Ländern“.

Uli Miksch erinnerte in der Anmoderation des Gesprächs an das Transparent „100 Jahre DSAP“, dass die MDA anlässlich des Besuchs in Teplitz 2019 hat machen lassen. Auch das Treffen letztes Jahr in Eger habe gezeigt, dass die MDA die Auseinandersetzung mit der DSAP ernst nehme.

Patrik Eichler freute sich über die Einladung und bedankte sich dafür. Er versicherte, dass die MDA ein enger und dauerhafter Partner für die Seliger-Gemeinde sei. Ob es gemeinsame Publikationen oder dieTreffen deutscher und tschechischer Sozialdemokraten gewesen sind, diese Aktivitäten sollten auf jeden Fall weitergeführt werden. Die Seliger-Gemeinde reichte der tschechischen Sozialdemokratie die Hand und öffnete Räume seit den 1990ern. Das alles begann mit Volkmar Gabert.

Patrik Eichler berichtete mit einem Schmunzeln, dass die MDA größer als die Friedrich-Ebert-Stiftung sei, zumindest was die Mitgliederzahl angehe. Beides seien eingetragene Vereine und die FES habe nur 40-50 Mitglieder, sei aber weltweit aktiv. Die MDA sei eher mit dem Prager Büro der FES vergleichbar und wolle nun mehr als „Thinktank“ der Sozialdemokratischen Partei (sozdem, ehemals ČSSD) als als Mitgliederverein tätig sein. Die MDA sei nur im Inland tätig, hatte mehrere Büros in den 90ern und jetzt nur noch fünf.

Die Demokratischen Masaryk-Akademie fungiere als Verlag der sozdem, der Gewerkschaften und NGOs sowie als Eventagentur (für Konferenzen, Tagungen, Gespräche). Seit einem Jahr ist die MDA auch im Vorstand der FEPs, der europäischen sozdemokratischen Stiftungen, was als großer Erfolg für die tschechischen Sozialdemokratie zu werten sei. Die Grundlegende Aufgabe sei die Weiterbildung der Mitglieder der tschechischen Sozialdemokratie sowie die Öffentlichkeitsarbeit zugunsten der sozdem. Eines der wichtigsten Ziele sei es seit 2018(!) ein neues Vereinigungsrecht der politischen Parteien nach polnischem Vorbild ins Parlament einzubringen – Polen habe das Gesetz zur Förderung konzeptioneller Arbeit der Parteien nach Vorbild die deutschen parteibezogenen Stiftungen per Gesetz zwar abgestimmt und damit verankert, aber noch nicht umgesetzt.

Im weiteren Verlauf des Gesprächs ging Eichler auf die Probleme der tschechischen Sozialdemokratischen Partei ein, die 2023 ihr 145jähriges Bestehen feierte, davon aber zur Hälfte verboten war. Die Probleme seien viel fundamentaler als bei der SPD. Derzeit habe die sozdem keine Abgeordneten im EU- und in tschechischen Parlament.

Patrik Eichler sah hierfür vor allem drei Gründe: Einmal die Situation, dass die tschechische politische Szene, traditionell aus zwei große Parteien bestand, die rechte (neoliberale) ODS und die linke Sozialdemokratie. Das endete irgendwo zwischen 2010 und 2013, spätestens mit dem Sturz der Regierung Petr Nečas. Denn dies sei ein großer symbolischer Meilenstein gewsen, als nach fast 20 Jahren die Zeit zu Ende ging, in der das Hauptthema der tschechischen Politik der Links-Rechts-Konflikt war: die ODS wollten Studiengebühren, wir wollten keine Studiengebühren, die ODS wollten die Renten privatisieren, wir wollten die Renten nicht privatisieren, und so weiter – und dass sich die ODS meist durchgesetzt habe. Übrig bleibt als einziges Thema, an dem sich die einzelnen politischen Parteien spalteten, die Frage der Korruption. Die ODS verschwand nach persönlichen Fehltritten fast ganz von der politischen Bühne – und mit ihr der eigentliche Konkurrent, die Sozialdemokratie.

Ziel müsse es sein, die sozdem wieder ins Parlament zu bringen und die wichtigsten Fragen der Gesellschaft zu lösen. Doch was machen, wenn die Forderung nach höheren Löhnen, bezahlbaren Wohnungen usw. Scheinbar niemanden interessieren?

Ein zweites Problem sah Patrik Eichler in der Bindung der Parteimitglieder an die Partei. Die Aktivitäten der Parteimitglieder hätten sich nach 2002, spätestens 2006, darauf beschränkten, der Parteiführung Legitimität zu verleihen, die dann nicht nur die Parteimitglieder, sondern auch die Wähler der Partei im Parlament, im Fernsehen und im Radio usw. vertrat. Dies schwächte jedoch die Rolle der Parteimitglieder und die Rolle der Parteistrukturen auf schreckliche Weise, und die Partei wurde intern stark geschwächt. Also wurden die Mitglieder passiv und verließen unter anderem die Partei. Die Parteifinanzierung und der mitgliedergetragene Wahlkampf brachen weg. Die Sozialdemokratie hatte zudem schon lange das Problem, dass eine Reihe von Mitgliedern eintraten, für eine sehr kurze Zeit blieben und dann nach sehr kurzer Zeit wieder austraten. Das heißt, es gab eine hohe Fluktuation in der Mitgliederbasis. Dazu kam, dass Meinung und Haltung nicht mehr durch die Parteizugehörigkeit definiert wurden, sondern von den Meinungsforschungsinstituten vorgegeben wurde. Doch die Sozialdemokratie sei keine Klientelparteien zum eigenen Vorteil (wie etwa die Hauseigentümerpartei) sondern vertrete das Gesellschaftskonzept der  Sozialdemokratie  gegenüber dem Liberalismus und dem Konservativismus.

Ein weiterer Grund sei die Politikkultur in der Tschechischen Republik. Die Medien und somit die Bevölkerung konzentrierten sich auf Personen – wie etwa in Frankreich, wo jeder Emmanuel Makron kenne, aber keiner seine aktuelle Partei (Renaissance (RE)). In Tschechien seien die Protagonisten Babis, Zeman oder Okamura, allein Ivan Bartosch, Vorsitzender der Piraten, die in der Regierung sitzen, falle aus diesem Schema.

Die Politik erleide durch diesen Personenkult einen Schaden, so Patrik Eichler und verwies auf die CDU nach Merkel oder die ÖVP nach Kurz. Besser mache es die SPD, die mit Esken, Klingbeil oder Scholz zwar eine Führung bekannte habe, aber nicht Gefahr laufe nach deren Abwahl zuzerfallen.

Patrik Eichler bedauerte auch, dass die politische Diskussion und die Programme dr Parteien zu sehr ins Konkrete auswichen. Forciert durch die Lobbyisten würde über Details dirkutiert – soweit, dass die Migrationsdebatte nicht die Menschenrechte behrrschen, sondern die Zaunhöhe und die Kilometer an verbautem Stacheldraht.

Angst werde Petrik Eichler mit Blick auf die Europawahl 2025. Man müsse als Sozialdemokrat eine neue, pro-europäische Sprache finden. Ein friedliches Europa und ein Sozialstaat Europa müssten die Themen sein.

Angesprochen auf die Jugend, winkte Eichler ab. Er mache sich da keine Sorgen, „mit Blick auf Volkmar Gabert und Willy Brandt, wer hätte je gedacht, was aus ihnen wird?“

Für Patrik Eichler müsse es Ziel sozialdemokratischer Politik sein, dafür zu sorgen, dass sich die Menschen emanzipieren können, und die gesellschaftliche Solidarität zu fördern. Erfolgreiche Politik müsse den gesellschaftlichen Wandel erklären und begleiten. Die Frage müsse beantwortet werden, wie verändert meine Partei die Welt, wenn sie die Wahl gewinnt?

Patrik Eichler zum Schluss: „Und unser aller Problem sei, wie gewinne ich Menschen für die (sozialdemokratische) Politik?“

 

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