Sudetendeutscher Tag 2023

Veröffentlicht am 08.06.2023 in Allgemein

Die Bundes-Ko-Vorsitzende der Seliger-Gemeinde, Helena Päßler (2.v.li.), mit den beiden Filmemachern Wolfgang Spielvogel (li.) und Rainer Brumme (2.v.re.) sowie dem beteiligten Lehrer Markus Harzer (re.)

„Über unsere Schwellen hinaus. Erste Schritte"

Mit der Vorstellung des deutsch-tschechischen Dokumentarfilmprojekts „Über unsere Schwellen hinaus. Erste Schritte" bestritt die Seliger-Gemeinde ihre zweite Einzelveranstaltung zum Sudetendeutschen Tag 2023 in Regensburg

Helena Päßler, Ko-Bundesvorsitzende der Seliger-Gemeinde, begrüßte die rund 20 Teilnehmer sowie das Filmemacherteam Wolfgang Spielvogel, Rainer Brumme und den Lehrer Markus Harzer. Das Bild, das Nachbarn voneinander haben, sei geprägt von Kenntnis und Vorurteil. Das gelte naturgemäß auch für das Verhältnis von Tschechen und Deutschen. In ihrem Dokumentarfilm wollten die Filmemacher Wolfgang Spielvogel und Rainer Brumme dieses Bild gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern der Karl-Rehbein-Schule, Hanau, der American Academy Brno, ihren Lehrern Markus Harzer und Pavel Novak, sowie Zeitzeugen und Wissenschaftlern aus beiden Ländern untersuchen, so Päßler. Anschließend wurden die ersten beiden Kapitel des Dokumentarfilms gezeigt. Als Einstieg in das Thema haben die Filmemacher die Lektüre des Romans „Die ersten Schritte“ (Nástup) von Václav Řezáč aus dem Jahr 1951 ausgewählt, der aus damaliger Sicht die Vertreibung der Deutschen rechtfertigt. Der Film hat am 24. Juni Premiere beim Festival „Meeting Brno“ und wird erstmals in Deutschland am 30 Juni in Hanau gezeigt. Geplant ist auch eine Vorführung Ende August anlässlich des Heimatfilmfestivals Freistadt/Oberösterreich.

Nástup spielt zwischen Mai und November 1945 im nordböhmischen Grenzgebiet und beschreibt die dort stattfindenden Umwälzungen, die der Leser aus der Perspektive des tschechischen Kommunisten Jiří Bagár mitverfolgt. Dieser ist Vorsitzender der Verwaltungskommission für die sudetendeutsche Stadt Grünbach (später Potočná); in dieser Funktion wird er mit einer Reihe von Problemen konfrontiert, die die Kolonialisierung des Grenzgebietes mit sich bringt. Der Autor des Romans kannte diese Probleme aus eigener Anschauung: Er hatte etliche Reisen in die Gegend von Kadaň/Kaaden unternommen und als Berater des damaligen Kultur und Informationsministers Václav Kopecký, der zu den einflussreichsten kommunistischen Politikern seiner Zeit gehörte, einen Bericht über die Situation im Sudetenland verfasst. Dieser wurde als Richtlinie für die Arbeit des Staatsapparats herangezogen – insofern könnte man sagen, dass Řezáč im weitesten Sinne den Umbruch auch selbst mitgestaltete.

Die Personen des Romans decken das gesamte gesellschaftliche Spektrum ab, wobei klar zwischen positiven und negativen Figuren unterschieden wird. Während bei den Tschechen beide Typen vorkommen und die Russen, Angehörige der Roten Armee, ausnahmslos positiv dargestellt sind (meistens lachend und mit roten Wangen), werden fast alle Deutschen negativ typisiert. Als dominante deutsche Eigenschaften werden im Roman Fanatismus und Gewaltbereitschaft sowie Gehorsam und Autoritätsglaube transportiert.

Das Wort »Vertreibung«, »vyhnání«, kommt hier nicht vor

Über die drohende Aussiedlung wird im Roman auf zwei sprachlich-stilistischen Ebenen gesprochen: Der kommunistische Erzähler und die übrigen positiv besetzten tschechischen Figuren verwenden relativ sachliche Bezeichnungen wie »vystěhovat«, »odsun Němců«, »odsunout Němce«, übersetzt als »aussiedeln«,  »Aussiedlung«,  »abschieben«  oder als »Abtransport der Deutschen«; das Wort »Vertreibung«, »vyhnání«, kommt hier nicht vor.

Da Nástup noch vor der planmäßigen Aussiedlung der Deutschen spielt, die bekanntlich erst im Jahr 1946 stattfand, sind Zweifel und Unsicherheit auf beiden Seiten der Bevölkerung ein wiederkehrendes Motiv, sie werden aber unter Hinweis auf die Beschlüsse von Potsdam ausgeräumt. Ein zentrales Anliegen des Romans ist dennoch die Frage nach der Legitimation der Aussiedlung. Weiter wird auch die buchstäblich herrschende Goldgräberstimmung im Sudetenland thematisiert. Nástup weist zweifellos trivialliterarische Qualitäten auf. Seit seinem Erscheinen 1951 erfuhr dieser Roman über fünfzehn Neuauflagen und stand als politisch erwünscht bis in die 80er Jahre auf vielen Pflichtlektürelisten in tschechischen Schulen. Die Rechtfertigung der Vertreibung der Deutschen; diese Sicht auf die Geschichte wird in dem Film von den Jugendlichen hinterfragt, und in der persönlichen Begegnung ansatzweise überwunden.

„Das ist kein Dokumentarfilm über die Vertreibung!“

In der anschießenden Diskussion wurde das zum Teil immer noch mehr von Vorurteilen als von realem Wissen geprägte Bild, das Tschechen und Deutsche von einander haben sowie die Didaktik des Films erörtert. Keine Zeigefinger, keine Pädagogik, sondern etwas wie „Sympathie“ entstand da gegenüber dem Suchprozess und seinen Akteuren, den Schüler, und auch den behutsamen Machern des Films und ihrer Kameraführung. „Wer einen Dokumentarfilm über die Vertreibung erwartet hat, der wird wohl enttäuscht sein“, so Wolfgang Spielvogel in seinen Ausführungen. „Wir haben etwas ganz anderes dokumentieren wollen“, ergänzte Rainer Brumme. Von November 2021 bis Mai 2022 haben die Filmemacher ein Projekt begleitet, dass sie mit den beiden Lehrern Markus Harzer aus Hanau und Pavel Novak aus Brünn initiierten. Sie wollten zeigen, wie Jugendliche heute an das Thema Vertreibung herangehen und es aufarbeiten. Dabei diente der Film „Die ersten Schritte“ (Nástup) von Václav Řezáč als Einstieg und rief unterschiedlichste Reaktionen hervor. Die beiden Schulklassen wurden im Vorfeld zu den geschichtlichen Fakten unterrichtet und reagierten, wie zu erwarten, sehr differenziert. So konfrontierten die ersten Kapitel des Films die Zuschauer auch mit einer sehr differenzierten Handlungsfolge. "Die gezeigten Ausschnitte lassen einen Dokumentarfilm in offenem Format erkennen, der mehr Anlässe für Fragen bot, und weniger eine scheinbare Objektivität vorgefasster Auffassungen, will sagen: „Wahrheiten“, bis hin zur Propaganda, zu zelebrieren versuchte", so Wolfgang Spielvogel. Das Einbinden von Zeitzeugen und das gegenseitige Kennenlernen vertieften die gegenseitigen Beziehungen und die Auseinandersetzung mit der Thematik. Einige Schülerinnen und Schüler entdeckten bei Nachforschungen plötzlich Sudetendeutsche in ihrer Ahnenreihe. Nach und nach stellte sich heraus, so die Filmemacher, dass die tschechischen Schülerinnen und Schüler viel tiefer in die Materie einstiegen als die deutschen, die mehr oberflächlich blieben. Einig waren sich alle, die am Gespräch beteiligt waren, daß der Film sich eher an junge Menschen als an die Erlebnis-Generation richtet.

Auf der Suche nach Fördermitteln für den 2. und 3. Teil

Gedacht ist der Film als erster Teil einer Trilogie, die die veränderte Sichtweise der Tschechen auf die Deutschen in den vergangenen 75 thematisieren soll. Man darf gespannt sein, wie sich die beiden Klassen und ihre Beziehungen zueinander und zur Thematik entwickeln. Für die Produktion des bereits abgedrehten 2. und 3. Teils benötigen die Produzenten jedoch finanzielle Unterstützung. Die hessische Landeszentrale für politische Bildung hat mittlerweile Lizenzen gekauft und benutzt das erstklassige Filmmaterial auch zur Lehrerfortbildung. Leider gibt es in Tschechien, so die Filmemacher, keine staatlichen Institutionen wie die Bundes- oder Landeszentrale für politische Bildung, die Schulen solches Material zur Verfügung stellen kann. So ist zu hoffen, dass viele Einzelpersonen mit ihren angeschlossenen Organisationen auf diese Filme aufmerksam werden und sie einem breiten (Schul-)Publikum zugeführt werden können – auf beiden Seiten der Grenze. Die Seliger-Gemeinde wird ihr Möglichstes dafür tun.

 

Homepage Seliger Gemeinde

Jahresmotto 2023

Böhmen liegt nicht am Meer

Josef-Seliger (1870 - 1920)

Ausstellung

 

Film

Volkshaus.net

100 Jahre DSAP

Zur Jubiläumsseite - Zum Geburtstags-Tagebuch

Zum Bundesverband

Die Brücke

 

Mach doch mit!

WebSozis

Soziserver - Webhosting von Sozis für Sozis WebSozis

gefördert durch:

        

   

Wir bedanken uns bei den genannten Fördermittelgebern für die Unterstützung!