Frühjahrsseminar 2018 in Bad Alexandersbad

Veröffentlicht am 21.05.2018 in

Demonstration in Eger/Cheb am 1. Mai 1938: Einheiten der Republikanischen Wehr unter der tschechoslowakischen Fahne.

 

Eger/Cheb 1938: Nazis und Republikanische Wehr treffen aufeinander

Dr. Thomas Oellermann umriss die Geschichte der „Republikanischen Wehr“ und ging speziell auf die Geschehnisse in Eger/Cheb im Jahre 1938 ein: Die meisten Egerer seien unzufrieden mit der politischen und wirtschaftlichen Situation gewesen und viele betrachteten, seit Hitlers "Machtergreifung" 1933, das Deutsche Reich als Sehnsuchtsland. Die Propaganda der NSDAP wurde nicht durchschaut. Sogar viele fromme Christen glaubten den braunen Versprechungen, dabei war die junge Republik zwischen den Weltkriegen der einzige demokratische Staat in Mittel- und Osteuropa.

Nur die Egerer Sozialdemokraten erkannten - informiert von ihren politischen Freunden aus Deutschland (die SOPADE agierte schon 5 Jahre von Prag aus) - das wahre Gesicht des "Dritten Reiches" und wollten nicht "Heim ins Reich" – so die 1938 überall zu hörende Nazi-Parole. Die Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei (DSAP) war mutiger Warner vor dem Nationalsozialismus und organisierte zum 1. Mai 1938 eine Demonstration in Eger/Cheb, die nicht vergessen werden darf.

Die DSAP rief zu einer Maikundgebung "gegen Kriegsgefahr und Faschismus - für Arbeit und Brot, Frieden, Freiheit Sozialismus" auf. Unter der tschechoslowakischen Fahne beteiligten sich erstaunlich viele Bürger am Demonstrationsumzug durch die Stadt und bekundeten damit ihre Loyalität gegenüber dem von der Mehrheit ihrer Mitbürger abgelehnten Staat. Die uniformiert Mitglieder der Republikanischen Wehr begleiteten den Demonstrationszug mit einem Block von 100 Mann vorweg und am Ende. Es waren kampfkräftige Arbeiter – jedoch rein defensiv ausgerichtet, nur zum Schutz der Demonstration und zur Verteidigung von Parteiveranstaltungen und des Volkshauses. Die Aggressivität der Sudetendeutschen Partei wuchs immer mehr. In Eger/Cheb hatten die Nazis allein 10 bezahlte Schläger in ihren Reihen. „Saalschlachten“ wie hier gab es überall.

Es gehörte großer Mut dazu, sich in der aufgeheizten Stimmung an dieser politischen Kundgebung zu beteiligen - und die Reaktion der Gegner blieb auch nicht aus. Als Hitler am 12. September 1938 (beim "Reichsparteitag" in Nürnberg) unter offener Androhung von Krieg den "Anschluss" des Sudetenlandes forderte, wurde die Rede über Hunderte am Fenster stehende Radios in der ganzen Stadt übertragen. Anschließend marschierten etwa 300 bis 400 Henlein-Anhänger durch die Stadt und versuchten das Volkshaus, den Sitz der DSAP, zu stürmen. Hierher hatten sich bereits rund 100 Personen aus dem Umland geflüchtet. Arbeiter, die als Spitzel in die Sudetendeutsche Partei eingeschleust worden waren, wussten dass die Faschisten einen Überfall auf das Volkshaus in Eger planten. So waren genügend Metallarbeiter parat, um rechtzeitig zurückzuschlagen. Der in Königsberg an der Eger (Kreis Falkenau) geborene Bergmann und Sozialdemokrat Emil Köferl (1907-1963), war Leiter der Republikanischen Wehr in Egerstadt und nur einer von vielen, an die Thomas Oellermann erinnerte.

„Alle Fensterscheiben wurden eingeworfen und der Schaukasten zerstört. Die Republikanische Wehr konnte Schlimmeres verhindern. Erst nach einer Stunde kam die Gendarmerie zur Hilfe. Die im Volkshaus Eingeschlossenen wurden am nächsten Tag nach Mies evakuiert, wo sich die wehrfähigen Männer sofort zur tschechoslowakischen Armee meldeten.

Nach heftigen Ausschreitungen im Sudetengebiet verbot die Prager Regierung am 16. September die Sudetendeutsche Partei. Kurz darauf griff das tschechoslowakische Militär dann das Hauptquartier der Sudetendeutschen Partei in Eger/Cheb mit Panzerwagen und Handgranaten an. Dabei starben 6 Soldaten und 5 Zivilisten durch Querschläger. Die „Heimatpresse“ schrieb diesen Überfall aber den Sudetendeutschen Sozialdemokraten zu – „Fake-News 1938“, so Oellermann.

Nach dem Scheitern dieses Versuches der Nazis, das spätere Ergebnis der Kapitulation der Westmächte in München durch eine vorgetäuschte „spontane Erhebung“ voregzunhemen, unternahm die DSAP ihre letzte große Offensive gegen die faschistische Gefahr. Sie veranstaltete Aufmärsche der „Republikanischen Wehr“ in allen größeren sudetendeutschen Städten.

Von da an wurden die Sozialdemokraten noch mehr verfolgt. Dennoch wagten sie noch Mitte September einen letzten Aufruf an alle Mitbürger: "... Sudetendeutsche! Ihr steht nunmehr vor der Wahl: Gleichberechtigung durch Frieden oder Untergang durch Krieg ... Vereinigung aller Kräfte für Frieden und Freiheit, für eine bessere Zukunft des Sudetenlandes, für ein neues Europa gleichberechtigter Völker ..." war auf Handzetteln und Plakaten zu lesen.

Als am 3. Oktober 1938 die Wehrmacht einmarschierte und der "Führer" auf dem Egerer Marktplatz erschien, flohen viele Gegner des braunen Regimes nach Prag, um ihr Leben zu retten. In der Hauptstadt aber begriff man nicht, dass es sich bei diesen Flüchtlingen um loyale und tapfere Mitbürger handelte. Weil sie Deutsche waren, wurden alle wieder in den Zug gesetzt und zurückgeschickt. Sie waren auf deutscher wie auf tschechischer Seite unter die Räder gekommen! Als sie daheim ankamen, wartete man schon auf sie: "Jetzt kommt das Gesindel! - Schlagt sie tot", hieß es zur Begrüßung. Gleich auf dem Egerer Bahnhof wurden viele von ihnen abgeführt - zum Transport in ein Konzentrationslager. Nach Darstellung der nationalsozialistischen Propaganda gab es nur begeisterte Zustimmung dafür, dass das Sudetenland "Heim ins Reich" geholt wurde. Die Gegner des braunen Regimes aber wurden mit fanatischem Hass verfolgt - und "totgeschwiegen".

Die Seminar-Gruppe besuchte das am Balthasar-Neumann-Platz stehende "Volkshaus" der Sozialdemokratischen Partei, das heute ein Lager und die Restaurationswerkstatt des Stadtmuseums Eger/Cheb beherbergt. Hier wurde am 12. September 2008 unter Beteiligung der Seliger Gemeinde eine zweisprachige Gedenktafel angebracht: "In diesem Haus war in den 1930er Jahren der Sitz der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Ihre Mitglieder setzten sich 1938 entschieden für die Verteidigung der Tschechoslowakischen Republik ein." In Erinnerung an die fast vergessenen Helden sagte Chebs Bürgermeister Jan Svoboda: "Diese Gedenktafel soll an die Ereignisse vor 70 Jahren erinnern, als sich die Sozialdemokraten energisch zur Verteidigung der Tschechoslowakischen Republik stellten. Es waren sie und andere Opponenten des Nationalsozialismus, die verfolgt wurden. Für deren Tapferkeit wollen wir, die jetzigen Bürger der Stadt, danken." Sozialdemokraten und alle anderen Antifaschisten hätten ihr Leben riskiert. "Ich glaube nur, dass sie auf diese Ehrung sehr lange gewartet haben."

Der Seliger Gemeinde war es ein wichtiges Anliegen auch 2018, zum 80. Jahrestag der Ereignissen in Eger/Cheb, diesen zu gedenken.

 

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