Die Münchner Gruppe fuhr ins „Rote Wien“

Veröffentlicht am 11.05.2019 in

Wie in jedem Jahr organisierte die Münchner Gruppe der SG wieder eine Jahresfahrt, an der sich alle SG-Mitglieder beteiligen konnten. Nach vier Jahren in denen die Fahrten die Tschechische Republik auf den Spuren der DSAP erkundeten, war diesmal das Ziel Wien, das mit Hilfe des SPD-Reisedienstes, die jedes Jahr eine Fahrt zum 1. Mai in Wien anbietet, angesteuert werden konnte.

 

Vom 29. April bis zum 3. Mai fuhren gut 30 SG-Mitglieder ins Rote Wien, eine Fahrt die die SG regelmäßig über Jahrzehnte von München aus gemacht hat, diesmal jedoch auf den Spuren einer 80 Personen umfassenden Gruppe sudetendeutscher Sozialdemokraten aus der Tschechoslowakei im Jahre 1926. Damals suchte die DSAP den beliebten Reisen der Kommunisten nach Sowjet-Russland ein demokratisches Pendant entgegenzusetzen. In Wien, der ehemaligen Hauptstadt der Habsburger Monarchie, aus der heraus sich ja gerade erst gut sieben Jahre die Tschechoslowakei ausgegründet hatte, waren seit den Gemeinderatswahlen vom 4. Mai 1919 die Sozialdemokraten mit absoluter Mehrheit an die Macht gekommen und setzten ihr Programm des Wohnungsbaus, der Gesundheitsfürsorge und vieles andere mehr in zäher Arbeit und unter Schmähung ihrer politischen Widersacher durch. Dieses demokratische Beispiel, das in allen Wahlen der Ersten Republik bestätigt wurde, war Orientierungspunkt für die Sudetendeutsche Sozialdemokratie in der 1. CSR. In einem nach der Reise erschienen Buch schilderte der bekannteste Teilnehmer der Reise Josef Hofbauer in eindrücklichen Schilderungen den Verlauf der Fahrt, auf dessen Spuren sich nun im Jahre 2019 die SG machte. Extra aus Schweden angereist waren der Enkel Josef Hofbauers Peter Hofbauer und seine Frau Lisbeth. Und im Verlaufe des Dienstags, an dem wir einige damalige Besichtigungsorte mit Hilfe des Wiener SPÖ-Genossen Herbert Wagner aufsuchten, begleitete die beiden auch ein Verwandter aus Wien, der Neffe Josef Hofbauers Hans Lehmann.

Da war der Franz-Josef-Bahnhof, an dem die Delegation damals ankam und mit „Freundschafts“-Rufen empfangen wurde – heute ein neugebauter Bahnhof der 1970er Jahre. Das Arbeiterheim Ottakring, das schon 1934 in den Kämpfen gegen den Ständestaat in Mitleidenschaft gezogen wurde. Dann doch noch ein Zeugnis der starken Arbeiterheime: in Favoriten. Zwar wird nicht mehr alles von der Sozialdemokratie genutzt. Aber Herbert Wagner führte uns in einen kleinen Ausstellungsraum im Keller und stellte uns die Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie anhand von historischen Fotografien vor.

Der abschließende Besuch im Karl-Marx-Hof, verbunden mit der Besichtigung des „Waschsalons“ indem heute eine Ausstellung zum „Roten Wien“ zu finden ist, war dann vor allem die Begegnung mit dem durch die „Wohnbausteuer“ möglich gewordenen öffentlichen Wohnungsbau, der auf anderer Grundlage bis heute fortgeführt wird und die Gemeinde Wien mit rund 220.000 zum größten kommunalen Wohnungseigentümer mindestens in Europas macht. Die sachkundige Führung war der Abschluss eines ganz von der SG, unter Leitung von Waldemar Deischl und der Vorbereitung durch Thomas Oellermann, der selbst aber nicht an der Fahrt teilnehmen konnte, gestalteter Tag. Am Abend trafen wir die Wiener SG-Mitglieder in einer Gaststätte in der Nähe des Hotels, gleich gegenüber vom ehemaligen Sitz der Tschechischen Sozialdemokratie in Wien. Gerda Neudecker und Leo Zahel begrüßten uns, wobei Leo Zahel an Gabriele Prost (1879-1971), einer in Troppau geborenen sudetendeutschen Sozialdemokratin erinnerte, die als eine von acht Frauen in den ersten Nationalrat Österreichs 1919 gewählt wurde und auch noch nach 1945 wieder im Parlament bis 1953 saß. Im Rahmen des SPD-Reisedienstes waren wir Ehrengäste des 1. Mais vor dem Wiener Rathaus, der mit 120.000 Teilnehmern wohl die größte Maidemonstration im demokratischen Europa war. Viele Redner, vor allem aber der neue Bürgermeister Michael Ludwig und der sozialdemokratische Spitzenkandidat für die Europa-Wahlen Andreas Schieder, wiesen auf die Erfolgsgeschichte Wiens hin. Wien sei seit Jahren im Ranking unabhängiger Umfrageinstitute die lebenswerteste Stadt der Welt. Woran das wohl liegt? Am folgenden Tag konnten wir auch das Wiener Rathaus von innen sehen. Da war der Saal mit den gemalten Porträts aller Wiener Bürgermeister seit 1945 – alles Sozialdemokraten. Ein Besuch im Sitzungssaal des Wiener Gemeinderates, zu dem uns der Landtags-Präsident Ernst Woller begrüßte, rundete den Einblick, den wir ins noch heute „Rote Wien“ gewinnen konnten, ab. Unsere Reise nach Wien passte darüber hinaus auch genau in den Jubiläumskalender der Wiener selbst. Überall wiesen Plakate auf die Ausstellung „100 Jahre Rotes Wien“ vom Wien Museum hin, die man ganz leicht neben dem Rathaus besuchen konnte und die noch vertiefende Einblicke auch in den geistigen Aufbruch im Wien der 1920er Jahre gewährte. Wer eine Bilanz dieser ereignisreichen Tage ziehen will, kann sich auch Anregung bei Wenzel Jaksch holen, dessen Gedenktafel an seinem Wohnort in Wien-Ottakring (1910-16) wir besuchten. Er schrieb 1926 eine Reportage über den Schwarzmeier Seff: „Ein Holzhauer über seine Eindrücke im Roten Wien“, die er zurückgekehrt von der Reise der 80 sudetendeutschen Sozialdemokraten nach Wien ins heimatliche Eisendorf im Böhmerwald seinen Genossen schilderte. Nachzulesen ist diese Geschichte im Reportageband von Wenzel Jaksch „Verlorene Dörfer, verlassene Menschen“, der auch weiterhin beim Sabat-Verlag Kulmbach aber auch in der Geschäftsstelle erhältlich ist.

Ulrich Miksch

 

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